Hoffnungsvoller Beginn: das Begrüßungsfest des Netzwerks Willkommen für Flüchtlinge in Lauterbach. Seit der Abschiebung eines jungen Somali ist die Stimmung in der Schwarzwaldgemeinde allerdings getrübt. Foto: Borho

Aufruhr in Lauterbach: Junger Somali wird mitten in der Nacht von Polizei geholt. Netzwerk geht auf Barrikaden.

Lauterbach - Alles könnte gut sein. Die Frühlingssonne lässt die Knospen austreiben, zwei junge Athletinnen aus dem Dorf sind für die Wahl der beliebtesten Sportler nominiert, den Schwarzwaldverein zieht es wieder raus in die Natur. Alles wie immer in Lauterbach. Wäre da nicht der Vorfall in der Nacht zum Dienstag nach Ostern gewesen. Ein Polizeiauto fuhr am frühen Morgen vor und holte einen junge Mann gleich nach den Feiertagen ab, in Handschellen. Osman, wie er im Ort genannt wird, 29 Jahre alt und Somali. Jetzt sitzt der junge Flüchtling in Amsterdam in Abschiebehaft. Seither hat sich was verändert im Dorf.

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Netzwerks "Willkommen" sind schockiert – über die Art und Weise, wie er weggeschafft wurde, und dass es ausgerechnet ihn getroffen hat. Der junge Computertechniker aus Afrika besuchte Deutschkurse und das Jedermann-Turnen im örtlichen TSV, stand auf der Liste für das Fachkräfteprogramm der Arbeitsagentur. Ein "Vorzeige-Neubürger", sagt Sonja Rajsp, Sprecherin des Netzwerks, "beliebt in Lauterbach und integriert. Er hat sogar Einladungen zu Privatfeiern bekommen." Außerdem war er einziger Dolmetscher für Arabisch im Ort. Damit hat das Netzwerk ein Problem mehr. Wer soll den Flüchtlingen aus Syrien nun erklären, was die Behörden ihnen mitteilen? Die Schreiben sind in Beamtendeutsch verfasst. Jetzt haben sie ihnen auch noch den einzigen Übersetzer weggenommen.

Der Fall liegt schon einige Tage zurück. Aber die Mitglieder des Netzwerks sind immer noch "total deprimiert", so Rajsp. Sie haben bei Politikern nachgefasst und den Behörden. Alle zucken mit den Schultern. Könne man nichts machen. Rechtslage. Denn Osman ist Flüchtling, der unter das Dublin-Abkommen fällt. Das besagt, dass er seinen Asylantrag in dem Land stellen muss, in dem er angekommen ist. Für ihn waren es die Niederlande. "Das ist der größte Quatsch", schimpft Rajsp. Menschen und Verantwortung würden einfach hin- und hergeschoben. Außerdem koste das viel Geld.

Stimmung unter den Flüchtlingen angespannt

Im Augenblick viel schlimmer: Die Stimmung unter den rund 70 Flüchtlingen, die mittlerweile in der 3000-Einwohner-Gemeinde leben, sei seither angespannt. Viele hätten eine lange Flucht und eine Leidenszeit hinter sich, wähnten sich in Sicherheit. Jetzt sei plötzlich einer abgeholt worden, in Handschellen, in einer unangekündigten "Nacht-und-Nebel-Aktion". Dabei hätte er eine Duldungsfrist bis zum 11. Mai gehabt, sich vorläufig in Sicherheit gewähnt.

Die Wirkung sei verheerend. Es sei nicht einfach, Vertrauen aufzubauen zu den Flüchtlingen. Es wurde dafür viel getan im Ort: Es gab ein großes Willkommenfest kurz vor Weihnachten, Kinder sangen, es wurde zusammen gekocht, die Kirche sammelte Spenden. Es gab vielfältige Annäherungen, auch auf privater Ebene. "Davon ist jetzt vieles futsch", sagt Rajsp, "denn keiner von denen weiß, ob er nicht der nächste ist, der wieder rausgerissen wird. Sie haben den Eindruck, man kann sich auf gar nichts mehr verlassen."

Die Abschiebung, veranlasst vom Regierungspräsidium Karlsruhe, schlägt auch den ehrenamtlichen Paten für die Flüchtlinge in Lauterbach aufs Gemüt. Die Patin, die für den jungen Somali zuständig war, ist am Boden zerstört. Wegen der Abschiebung und überhaupt. "Da läuft strukturell vieles schief", sagt die Frau, die nicht namentlich genannt werden will. Die Behörden? Offensichtlich völlig überfordert. Vor Ostern kam der nächste Bus mit Flüchtlingen im Ort an, 22 auf einen Schlag, ausgestattet nur mit dem Allernötigsten. Der Landkreis mietet Wohnungen an, minimum vier Quadratmeter Wohnraum pro Mensch, dann müssen sich andere kümmern. Deutschkurse, Übersetzungsarbeit, Behördengänge, Arztbesuche, Kochgeschirr für Familien besorgen – das leisten die ehrenamtlichen Helfer des Netzwerks, rund ein Dutzend Frauen und Männer. Sie helfen den Fremden, sich zurechtzufinden, so was wie einen Alltag auf die Reihe zu bekommen, und auch dann, wenn Familien plötzlich umquartiert werden, manche sogar zweimal, trotz Kindern und schwangerer Mutter. Außerdem geben sie menschliche Zuwendung. Die Lage der Helfer? "Es brennt überall", sagt die Frau, "wir löschen, wo wir können."

Ehrenamtliche Helfer stoßen an ihre Grenzen

Ein Beispiel: Diese Woche lag ein Flüchtling nachts schmerzgekrümmt in seiner Unterkunft, im Krankenhaus Wolfach wurde ihm der Blinddarm entfernt. Ein Übersetzer fuhr mit nach Wolfach. Dass der Begleiter auch wieder nach Hause kam, darum kümmerte sich keiner. Also holte ihn die Patin frühmorgens ab. "Es gibt so viel zu tun", sagt die Patin. Einige der ehrenamtlichen Helfer stoßen an ihre Grenzen, vor allem emotional. Und dann hagelt die Abschiebung hinein, ein kühler Verwaltungsakt anhand der Aktenlage, entschieden am Schreibtisch, mokiert sich das Netzwerk.

Bürgermeister Norbert Swoboda bedauert die Abschiebung, denn gerade die Somalis und Flüchtlinge aus Eritrea in Lauterbach seien "sehr sympathische Leute, wissbegierig und integrationswillig". Sie schlössen sich Sportvereinen an und wollten lernen. Wenngleich die Abschiebung "menschlich bedauerlich" sei, sei die Rechtslage entscheidend, wer bleiben dürfe und wer das Land wieder verlassen müsse. Die "Welle" der Flüchtlinge sei auch Herausforderung für die Behörden, auch für den Landkreis. Über die Ankunft des Busses mit den Flüchtlingen sei die Gemeinde gar nicht offiziell informiert worden. "Da lief die Information etwas schleppend", so Swoboda.

Den Auftrag für die "aufenthaltsbeendende Maßnahme" bekam die Polizei in Schramberg. Im Revier schlägt sich offenbar keiner um diese Aufgabe. "Das ist auch für uns nicht einfach und lässt einen nicht kalt", sagt ein erfahrener Beamter. Vor allem, wenn es um Familien mit kleinen Kindern gehe. Aber die Polizei sei nur ausführendes Organ, habe nichts zu entscheiden. Dass der Somali nachts abgeholt wurde, habe einen einfachen Grund: Die Zeit wird so bemessen, dass der betreffende Asylbewerber rechtzeitig am Flughafen ist, wenn seine Maschine geht, möglichst ohne unnötigen "Freiheitsentzug". So korrekt sind die Behörden dann doch. "Ist auch für uns nicht schön", sagt der Polizist. Handschellen dienten dem Schutz der Beamten und des Asylbewerbers. Nicht jeder füge sich erfahrungsgemäß widerstandslos in sein Schicksal.

Das will auch das Netzwerk "Willkommen" nicht. Gestern Abend tagte der Ausschuss, um zu überlegen, was man noch tun könne, um den jungen Somali zurückzuholen. "Wir dürfen das so nicht akzeptieren und einfach auf sich bewenden lassen", sagt Netzwerk-Sprecherin Rajsp.

Dabei ist die Abschiebepraxis nicht neu, sondern seit vielen Jahren gang und gäbe. Warum regt sich gerade jetzt Widerstand? "Weil der junge Mann es wert ist. Es sind doch Menschen, nette Leute", sagt Rajsp, "außerdem hat sich das was verändert im Vergleich zu früher." Ob es Osman hilft? Er hat heute Geburtstag, im Abschiebegefängnis in Schiphol. Er wird 30 Jahre alt.