Rettungsanker: In einer Karlsruher Arztpraxis nimmt eine Drogenabhängige ihre tägliche Dosis Methadon ein. Foto: Deck

Flächendeckende Versorgung von Opiatabhängigen mit Ersatzstoffen nicht nur im Kreis Rottweil bedroht.

Kreis Rottweil - Die Aussichten sind nicht unbedingt rosig. Eher grau und düster: Im Kreis Rottweil gibt es nur noch eine Apotheke und einen Substitutionsarzt, die sich um die Versorgung von Opiatabhängigen mit Ersatzstoffen kümmern. Bricht eines dieser beiden Standbeine weg, wird die Lage schwierig. Der 59-jährige Besitzer der entsprechenden Apotheke warnt vor "massiven Versorgungsproblemen", die auf die Gesellschaft zukommen. Seinen Namen will er mit Blick auf die kriminelle Drogenszene nicht genannt wissen.

Der Apotheker präsentiert ein Beispiel: Ein Familienvater, der in Substitutionstherapie ist, und einem Beruf nachgeht, kann nicht jeden Tag nach Offenburg fahren. Er braucht eine ortsnahe Versorgung. Und diese "steht im Moment ganz deutlich auf dem Spiel, sowohl in der Region – als auch bundesweit", berichtet der 59-Jährige. Er hat sich des Geschäftsbereichs vor drei Jahren angenommen, nachdem sich ein Kollege angesichts zahlreicher Überfälle zur Aufgabe entschieden hatte.

Carmen Gonzalez vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg sieht noch einen weiteren Grund für solche Aufgaben: "Die Apotheker bekommen nur ein kleines Honorar für die Abgabe." Und wenn nicht angemessen vergütet werde, habe dies eben die Folge, dass kleine Apotheken in die Knie gingen. Aber auch immer weniger Ärzte wollen die Substitutionstherapie anbieten. "Wir steuern insgesamt auf eine Lücke zu", bekennt Kai Sonntag, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW).

Die KVBW hat festgestellt, dass der Altersdurchschnitt bei den Substitutionsärzten besonders hoch ist – 50 Prozent sind bereits über 60 Jahre alt. Das zeigt, dass in dem Bereich ein großes Nachwuchsproblem existiert. Zugleich wird der Patientenstamm keineswegs kleiner. Durch die Substitutionstherapie ist die Lebenserwartung von Drogenkranken inzwischen bedeutend höher. Sie müssen zum Teil über viele Jahre hinweg behandelt werden. 2016 wurden in Baden-Württemberg etwa 10.000 Drogenpatienten durch rund 300 Ärzte behandelt.

Online-Apotheken machen um dieses mühselige Geschäft einen weiten Bogen

Dass viele seiner Kollegen die Versorgung von Süchtigen scheuen, kann der Apothekeninhaber aus dem Kreis Rottweil indes verstehen. So sei die Drogensubstitution mit einem "irren Aufwand" und auch Risiken verbunden. Die Auflagen bezüglich der sicheren Aufbewahrung der Ersatzstoffe und der Dokumentation seien streng. Gleichzeitig hole sich der Pharmazeut Kunden in die Apotheke, von denen manche in der kriminellen Szenen verkehren. Da komme es öfter zu Zwischenfällen. Dennoch ist der 59-Jährige überzeugt: "Diese Menschen sind in erster Linie schwer krank und nicht kriminell."

Der Inhaber fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Er selbst hat an seine Apotheke den Anspruch der Vollversorgung, es sei jedoch fraglich, ob in Zukunft hierfür noch die Rahmenbedingungen existierten. Gerade Online-Apotheken würden sich die "Rosinen" des Apotheken-Geschäfts herauspicken, Aufgaben wie die Versorgung von Substitutionspatienten könnten und wollten diese Unternehmen dagegen nicht leisten, da diese nicht rentabel seien. Sein Vorwurf: Die Online-Anbieter würden der öffentlichen Aufgabe von Apotheken, sich dem Gemeinwohl zu verpflichten, nicht nachkommen. Der Markt werde also durch die wachsende Konkurrenz überflutet und gleichzeitig zerstört.

Herbert Huber, in Rottweil niedergelassener Arzt, spricht von rund 50 Patienten, die bei ihm in der Substitutionstherapie sind. Der 63-Jährige behandelt seit 1990 Drogensüchtige. Zurzeit hat er jedoch einen Patientenannahmestopp verhängt. Denn zehn bis 15 Substitutionspatienten pro Tag, die meist außerhalb der Regelsprechstunden sowie auch am Wochenende betreut werden – "das ist schon ein Aufwand", berichtet der Arzt.

Viele der Drogensüchtigen leben in der nahen Umgebung, es sind jedoch auch Patienten darunter, die aus Singen oder Reutlingen, kommen. Warum? "Entweder, weil dort kein Arzt ist, der das macht, oder weil sie dort schon aus einem Programm geflogen sind", erklärt Huber. Außerdem beobachtet er, dass die Drogenproblematik im Kreis schlimmer wird. Die Zahl der Drogensüchtigen habe "deutlich zugenommen".

Arzt bekennt zufrieden: 80 Prozent seiner Klienten sind trotz ihrer Abhängigkeit berufstätig

Deshalb spielt Huber schon seit Längerem mit dem Gedanken, eine Schwerpunktpraxis für die Behandlung zu eröffnen. "Der Bedarf ist da." Dabei gehe es nicht darum, den Konsum der Abhängigen zu organisieren, sondern eine angemessene Behandlung zu ermöglichen. Denn die Erfolge der Substitutionstherapie machten allen Aufwand wett. "Das ist eine unglaublich befriedigende Arbeit zu sehen, wie sich die Menschen im Laufe der Therapie verändern", berichtet Huber von seinen Erfahrungen.

Die Patienten würden aus dem Kreislauf des Drogensumpfs ausbrechen, Perspektiven entwickeln, ein geregeltes Leben führen. Er hat Patienten, die teilweise bereits zehn Jahre bei ihm in Behandlung sind. 80 Prozent seiner Patienten sind berufstätig. Für eine Schwerpunktpraxis bedürfe es indes der Unterstützung von staatlicher Seite, Fördergelder würden benötigt. Und natürlich Ärzte, die sich dem Bereich widmen. Und da sei die Situation ähnlich wie bei den Apothekern. "Wer will das schon machen?", fragt Huber.

Wenn Huber in den Ruhestand geht und niemand seine Arbeit mit Drogenkranken fortsetzt, dann müssen die Rottweiler Drogenkranken deutlich weitere Wege auf sich nehmen. Nach Tuttlingen etwa, wo es bereits eine Schwerpunktpraxis gibt. 35 Kilometer hin, 35 Kilometer zurück, und das jeden Tag, vor oder nach der Arbeit, vor oder nach den alltäglichen Verpflichtungen – das ist selbst für einen gesunden Menschen eine Herausforderung. Und für viele Suchtkranke wird das bedeuten: Sie bleiben wieder auf der Strecke.