Ein 61-jähriger Mann muss sich derzeit vor dem Landgericht Rottweil verantworten. Foto: Nädele

Verhandlungsauftakt bringt zur Person des Angeklagten viele Fragen. Seit Jahren Stammgast in Psychiatrie.

Kreis Rottweil - Die Psychiatrie könnte für einen 61-Jährigen längerfristig zu einem Zuhause werden. Dies scheint auf der Hand zu liegen, nachdem der Mann am Montag bei der Eröffnung eines Verfahrens wegen vorsätzlicher Körperverletzungsdelikten und Bedrohungen die Erste Große Strafkammer am Landgericht Rottweil zu seiner Persönlichkeit ausführlich ins Bild setzte.

Da zeigt sich einerseits ein Mann mit einem eindruckvollen Erinnerungsvermögen und intelligenten Darlegungen. Seine von ihm dabei beschriebene "andere Seite" zeugt aber auch von einem Menschen, der immer wieder in eine fremde Welt abzutauchen scheint und dabei auch mal kräftig um sich schlägt.

Abwärtsspirale nicht mehr zu stoppen

Vor 30 Jahren wurde der 61-Jährige aufgrund des Auseinanderbrechens seiner Familie erstmals aus der Spur geworden, sagt er selbst. Als junger Mann war er in Indien mit Rauschmitteln in Verbindung gekommen. Später suchte er zusehends mit dem Suchtmittel Alkohol Trost. Als der gelernte Werkzeugmacher und staatlich geprüfte Wassermeister vor 22 Jahren mit einem selbst konzipierten Geschäftsmodell zur Minimierung von Wasserverlusten in Leitungssystemen Schiffbruch erlitt, war die Abwärtsspirale nicht mehr zu stoppen. Seither ist der Mann Stammgast in der Psychiatrie. Die bei ihm diagnostizierte gemischte schizoaffektive Psychose macht ihn – offenbar vor allem in Verbindung mit Alkoholkonsum – unberechenbar. Dann verliert er die Kontrolle, traktiert mit Schlägen Anstaltspersonal. Auch ein Banker wird von ihm geohrfeigt, weil dieser sich bei Auszahlungen an die Anweisungen des Betreuers hält. Die laufende Geldnot treibt ihn auch zu einem Schreiben an einen Rathauschef, in dem er mit dem Hinweis, er komme sonst mit einer Spaltaxt vorbei, die Restbezahlung einer 20 Jahre alten Rechnung anmahnt.

Erstmals der Psychiatrie zugeführt wurde der Angeklagte 1994 von seinem sechs Jahre älteren Bruder. Dieser sah sich zu dem "Notruf" veranlasst, nachdem der damals 49-Jährige zwei Jungbullen erwarb. Dies mitnichten, um in die Viehzucht einzusteigen. "Mit denen konnte ich reden, die haben mich verstanden", wollte der Mann gestern mit ernster Miene glauben machen, dass er damals Brüder im Geiste gefunden habe.

Skurill mutet auf Nachbohren des Vorsitzenden Richters Karl-Heinz Münzer auch der Hinweis des 61-Jährigen an, Impulse zu bösem Tun seien von seinem Opa initiiert. "Dieser führt mich", sagt der Mann über eine Person, die zwei Jahre bevor er geboren wurde, verstarb und die er vor allem aus Erzählungen der Mutter über ihren Schwiegervater kennenlernte. Der habe gesoffen wie ein Loch, zehn Liter Most am Tag, seine Arbeit aber einwandfrei erledigt, sagte der Angeklagte so, als wenn solche Geschichten über den Opa auch seine eigene Lebensweise ein wenig legitimieren könnten.

Als der 61-Jährige am Montag vom Vorsitzenden und seinen beiden Beisitzern zu seinen gelegentlichen Gewaltausbrüchen – körperlich und verbal – befragt wird, schwankt der Grad der Reumütigkeit zwischen Null und 100. Vor allem bei mit deftigen Anzüglichkeiten garnierten Beleidigungen gegen Frauen – zum Beispiel Polizistinnen und Bedienungen – betont der Mann, dass es ihm leid tue. Zu anderen Fällen – zum Beispiel Banker, der ihm Kontoauszüge zur Eröffnung bei einer anderen Bank verwehrte und Anstaltsbediensteter, der ihm einen Ausgang verbot – gibt er sich rigoroser. Wenn er sich im Recht fühle, müsse er dieser Einschätzung Nachdruck verleihen. Den Anstaltsbediensteten, der ihm eine wichtige Reise zu seinen Söhnen verwehrt habe, hätte er am liebsten erwürgen wollen, sagt er vor den Prozessbeteiligten frank und frei.

Diplomatie scheint ohnehin nicht seine Art zu sein. Ungeniert lässt er die Kammer auch wissen, dass – gemessen am Alkoholgehalt – Wein billiger als Bier ist. In seiner Zeit mit "Straßenfreunden" war dies offenbar immer wieder eine wichtige kalkulatorische Größe.

Seit einigen Wochen lebt der Mann in einem psychiatrischen Krankenhaus am Bodensee. Unter bestimmten Bedingungen könne er sich dort – das Essen ist ausgezeichnet – einen längeren Aufenthalt vorstellen. Obwohl er – auch zum Erstaunen des psychiatrischen Sachverständigen – seine Empfindungen zwischen depressiv und manisch erstaunlich analysiert, sieht er sich aber keineswegs als ein Fall für eine Therapie. Medikamente nur bei Bedarf. Ansonsten die Ermöglichung vieler Freizeitaktivitäten, nennt er seinen Anforderungskatalog für einen längeren Anstaltsaufenthalt. Weitere Prozesstage sind anberaumt.