Kurz vor der Verhandlung. Der Beschuldigte (Zweiter von rechts) verharrt reglos auf seinem Platz. Foto: Otto

Nach Vorfall in Sulz: Beschuldigter spricht selbst von "versuchtem Mord". Erschütternde Einblicke am zweiten Verhandlungstag.

Kreis Rottweil - Was geht im Kopf des Mannes vor, der im April mit Absicht zwei Menschen in Sulz überfahren und schwer verletzt hat? Vor dem Landgericht Rottweil ergeben die Aussagen der Polizisten, die vor Ort waren, erschütternde Einblicke. Nach der Tat habe der 44-Jährige selbst von einem "zweifachen Mordversuch" gesprochen.

"Ja, ich wollte sie überfahren. Stimmen aus dem Radio haben es mir befohlen." Wollten Sie die Leute töten? "Ja, ich bin extra noch mal draufgefahren." Erschreckende Sätze, die direkt nach dem furchtbaren Geschehen in Sulz im Gespräch des Beschuldigten mit Polizisten gefallen sind. Die Beamten, die am Tatort waren, beziehungsweise den 44-Jährigen später zu Hause festgenommen haben, schildern gestern am zweiten Verhandlungstag eindrücklich ihre Begegnung mit dem offensichtlich psychisch schwer kranken Mann.

Dieser hört den Berichten reglos zu. Blass, die Hände im Schoß liegend, sitzt er auf der Anklagebank und schaut nach vorn. Nur das heftige Augenzwinkern zeigt, dass es in ihm arbeitet. Kann er seine Tat von damals heute nachvollziehen? Am Morgen des 25. April fuhr er vor dem Sulzer Rathaus einen Fußgänger um, flüchtete, drehte dann wieder um und fuhr eine Frau auf dem Zebrastreifen "einfach über den Haufen", wie es ein geschockter Zeuge schilderte. Der Mann erlitt Prellungen und Beinverletzungen, die Frau unter anderem eine Beckenfraktur, Prellungen und Schnittverletzungen. Zwei Ärzte schildern die Verletzungen gestern im Einzelnen. Die 56-jährige Frau leidet bis heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist arbeitsunfähig.

Die Polizisten des Oberndorfer Reviers, die an den Unfallort gerufen wurden, hatten am Tattag selbst zwar keinen Kontakt mit dem Beschuldigten, kennen ihn aber vom Telefon, wie sie im Zeugenstand berichten.

Bei der Festnahme winkt er den Polizisten freundlich zu

Monatelang habe er immer wieder auf dem Revier angerufen. Auf Nachfrage von Richter Karlheinz Münzer, welchen Inhalt die Telefonate hatten, fällt es den Beamten schwer, dies zu benennen. Zu wirr, zu zusammenhanglos sei der "Redeschwall" des 44-Jährigen stets gewesen. Leute wollten ihn zusammenschlagen, er werde von der Telekom verfolgt und mit Elektrostrahlen gequält. Zum Teil habe er die Beamten beleidigt und als Nazis beschimpft, weshalb Anzeige erstattet worden sei. Man habe begonnen, Listen über die Anrufe zu führen. Der Revierleiter habe auch Kontakt zu den zuständigen Behörden aufgenommen. Eine psychiatrische Unterbringen sei wohl angedacht gewesen, meint sich ein Polizist vage zu erinnern.

In welchem Ausnahmezustand sich der Mann auch am Tattag befunden haben muss, zeigen die Schilderungen zweier Polizisten aus Freudenstadt. Sie waren am Morgen der Tat zufällig in der Gegend und wurden nach dem schrecklichen Geschehen zur Wohnadresse des 44-Jährigen beordert. Dort trafen sie den Gesuchten tatsächlich an. "Er winkte uns aus dem Obergeschoss zu und meinte, er komme gleich runter – als ob wir Freunde wären", so die Aussage eines Beamten. Vor dem Haus habe der Mann dann gesagt, er "wollte Leute überfahren". Auf der Fahrt zum Revier habe er selbst von einem "zweifachen versuchten Mord" gesprochen. Man hätte ihn eben "in Ruhe lassen sollen". Bezüglich der Tat sei der Beschuldigte ruhig gewesen, wenn es aber um ihn ging, habe er aufgeregt und ängstlich gewirkt, schnell gesprochen. Seit 17 Jahren werde er verfolgt, gequält und geschlagen, auch von seinen Nachbarn.

Seit Jahren fühlt sich der 44-Jährige verfolgt und gequält

Später habe er auch gefragt, wie es den Opfern gehe und ob sie tot seien. Ähnliches berichtet der Kriminaloberkommissar, der den Beschuldigten später vernommen hat. "Es war schwierig. Vieles konnte ich gar nicht verstehen." In der zweistündigen Vernehmung habe sich aber ergeben, wo es wohl einen Bruch im Leben des Beschuldigten gab: Während er in Reutlingen studierte, sei er von der Polizei verdächtigt worden, die Reifenfirma Reiff in Brand gesteckt zu haben. Seitdem, so der Eindruck des Kriminalbeamten, habe sich der 44-Jährige zunehmend verfolgt gefühlt, gequält von Richtfunk, Strahlen, Elektrogeräten. Bei der Vernehmung habe er aus dem Polizeicomputer Stimmen gehört.

Vor der Tat, so die Angaben des Mannes in der Vernehmung, sei er auf ein freies Feld bei Dürrenmettstetten gefahren, wo er sich halbwegs sicher fühle. Aber das habe an diesem Tag auch nicht geholfen. Dann habe er Scheiben kaputt gemacht. Auch das habe "nichts gebracht". Daraufhin setzte er sich ins Auto – und fuhr zwei Menschen um.

Wie konnte es soweit kommen? Die Befragung von Angehörigen sowie eines behandelnden Arztes sollte am Nachmittag unter Ausschluss der Öffentlichkeit weiteren Aufschluss darüber geben. Am Montag wird die Verhandlung fortgesetzt, dann kommen Nachbarn, ehemalige Arbeitskollegen und Mitbewohner sowie Gutachter vor Gericht zu Wort.

Der Beschuldigte befindet sich in einer psychiatrischen Einrichtung. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er schuldunfähig ist.