Für Messies haben Gegenstände oft eine viel zu große Bedeutung. Sie können sich daher nicht von ihnen trennen. In ihren Wohnungen kann dies zu heillosem Durcheinander führen . Foto: Fotolia

Messies sammeln nicht, sie horten. Sie kaufen unkontrolliert ein, können sich von nichts trennen, umgeben sich mit Dingen, die andere wegwerfen. Ein Gespräch über das Leben im Chaos. Die Psychologin Astrid Müller berichtet über den krankhaften Zwang, Dinge anzuhäufen.

Frau Müller, sammeln Sie etwas?
Nein, das war bei mir nie ein Thema. Gut, als Kind hatte ich mal eine Briefmarkensammlung. Doch mein Interesse daran ist schnell abgeebbt.
Es gibt aber Menschen, die Unmengen von Dingen horten.
Man muss unterscheiden. Es gibt das landläufige Sammeln, etwa von Puppen, Münzen oder von Kunstgegenständen. Solange ein Mensch sich das gut leisten kann, solange er genügend Platz dafür hat und solange er sich am Gesammelten längerfristig erfreut, ist das ein Hobby, eine Leidenschaft, vielleicht auch eine Wertanlage – und völlig unbedenklich.
Und dann gibt es das krankhafte Sammeln, in Deutschland als Messie-Syndrom bekannt.
Im Englischen ist die Bezeichnung präziser: „compulsive hoarding“, also zwanghaftes Horten. Im von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft herausgegebenen Klassifizierungssystem psychischer Leiden wird die Hoarding Disorder seit 2013 erstmals als eigenständige Krankheit geführt.
Wie äußert sich die Erkrankung?
Zunächst in einer exzessiven Akquise. Die Betroffenen können dem Drang, Dinge anzusammeln, nicht widerstehen. Da wird dann zum Beispiel wahllos alles Kostenlose mitgenommen, etwa Prospekte. Oder man hortet Zeitungen, leere Dosen, Plastikflaschen. Also Dinge, an denen sich objektiv überhaupt kein Wert festmachen lässt. Andere kaufen unkontrolliert ein, Dinge, die sie nicht brauchen, die sie auch kaum oder nie benutzen. Gleichwohl entwickeln beide Gruppen zu den angesammelten Gegenständen eine sehr starke emotionale Bindung. Sie messen ihnen eine viel zu große Bedeutung zu – und können sich nicht mehr davon trennen. Das ist das zweite Symptom der Krankheit. Das dritte Symptom ist die Unordnung, die entsteht, oft bis hin zur Vermüllung, die letztlich sogar gesundheitsgefährdend werden kann.
Was steckt hinter einem solchen Verhalten?
Die Ursachen sind vielfältig. Viele dieser Menschen haben weitere psychische Störungen, leiden an Ängsten oder an Depressionen. Andere sind traumatisiert, etwa durch Missbrauch, eine Trennung oder den Tod. Viele weisen insgesamt zwanghafte Charakterzüge auf. Und sie haben oft Probleme bei der Informationsverarbeitung. Das heißt nicht, dass sie einen niedrigen IQ haben. Im Gegenteil. Doch es fällt ihnen schwer, die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren. Sie verlieren sich im Detail.
Sammeln Messies nur Gegenstände?
Das ist sicher die häufigste Form. Es gibt auch Datensammler, die ihre Rechner und Unmengen an Festplatten zumüllen, weil sie alles Mögliche downloaden oder bei jeder Mail, jeder SMS denken: Die könnte ich ja noch brauchen. Andere sammeln Tiere – Katzen etwa oder Hunde. Doch die Tiere werden nicht adäquat versorgt, sie verwahrlosen, erkranken, sterben sogar. Diese beiden Formen der Krankheit sind allerdings noch so gut wie unerforscht.
Wissen Messies, dass sie ein Problem haben?
Ja, die meisten sind sich dessen bewusst und überhaupt nicht stolz auf ihre Sammelwut, sondern sie leiden darunter. Das hat Auswirkungen. Vielen schämen sich dafür, dass ihre Wohnungen chaotisch, einige Zimmer sogar unzugänglich sind. Sie versuchen, ihre Krankheit zu verbergen, etwa indem sie niemanden mehr in die Wohnung lassen.
Gibt es Betroffene, die ansonsten ihren Alltag geregelt bekommen, die einem Beruf nachgehen, sprich: den Schein wahren?
Das funktioniert bei vielen. Man sieht den Betroffenen nicht an, dass sie Messies sind. Die Angestellte kann auf ihrer Arbeit alles voll und ganz im Griff haben – und zu Hause aber das Schlafzimmer oder das Bad nicht mehr benutzen können, weil es bis unter die Decke zugestellt ist.
Eigentlich könnte man sagen: Jeder darf zu Hause die Unordnung haben, die ihm passt. Wann wird’s kritisch?
Sobald eine Person leidet. Und sobald sie sich und ihr Umfeld gefährdet. Viele Betroffene verunfallen in ihren Wohnungen, etwa weil sie auf der Treppe über Papierberge stolpern. Von dem Papier geht auch Brandgefahr aus. Es kann zu Geruchsbelästigungen kommen. Da die Betroffenen versuchen, ihr Verhalten zu verbergen, lassen sie keine Handwerker für notwendige Reparaturarbeiten mehr in die Wohnung . . .
. . . Freunde vermutlich genauso wenig.
Ja, die sozialen Kontakte schlafen ein oder werden abgebrochen. Wer einen Partner hat, verliert diesen womöglich. Am Ende steht oft die Isolation.
Wie kann man jemandem helfen, dem man nahesteht?
Auch wenn der Impuls verständlich ist, auf keinen Fall dadurch, dass man den Betroffenen in den Urlaub schickt und in der Zwischenzeit seine Wohnung aufräumt und Dinge entsorgt.
Zwang ist Gift?
Selbst wenn es nicht als Bevormundung verstanden wird, nützten derartige Aktionen nichts. Zwei, drei Jahre später sieht es wieder genauso aus. Viel besser ist es, die Person zu überzeugen, dass sie professionelle Hilfe braucht, dass sie sich also in Therapie begibt. Dort spricht man dann miteinander. Betroffener und Therapeut gehen aber auch gemeinsam in die Wohnung und teilen die Dinge in Kategorien ein: Wovon kann ich mich sofort trennen, was kann später weg. Das kann nur schrittweise geschehen. Die Seele braucht dafür Zeit.

Betroffene und Angehörige können sich unter anderem an die Selbsthilfekontaktstelle Kiss Stuttgart wenden: Telefon 07 11 / 6 40 61 17, www.kiss-stuttgart.de, oder an das Messie-Selbsthilfe-Netzwerk für Baden-Württemberg: Telefon 0 70 63 / 75 57 , www.landesverband.shg-baden-wuerttemberg.de/