Papst Johannes Paul II. bei seiner Generalaudienz 2004 in Rom Foto: dpa

Selig- und Heiligsprechungen geht ein kompliziertes, im Kirchenrecht genau geregeltes Verfahren voraus, das Jahrzehnte, mitunter sogar Jahrhunderte dauern kann. Oder wie im Fall von Johannes Paul II. auch nur neun Jahre.

Rom - Vor der Kanonisation (Heiligsprechung) steht die Beatifikation (Seligsprechung), die Vorstufe, bevor man in den Kanon der rund 6650 Heiligen und Seligen sowie der 7400 Märtyrer aufgenommen wird. Papst Johannes Paul II. ist in Rekordzeit seliggesprochen worden. Normalerweise wird der Prozess frühestens fünf Jahre nach dem Tod eines Kandidaten eröffnet. Im Fall des mit 84 Jahren verstorbenen Karol Wojtyla hat es gerade mal drei Monate gedauert. Eine Ausnahmegenehmigung seines Nachfolgers Benedikt XVI. machte es möglich. Er war das erste katholische Kirchenoberhaupt seit rund 1000 Jahren, das seinen direkten Vorgänger auf diese Weise geehrt hat.

Eines der kürzesten Verfahren war das von Franz von Assisi: Der Gründer des Franziskanerordens wurde bereits zwei Jahre nach seinem Tod 1226 heiliggesprochen. Diesen Rekord konnte nicht einmal die 1997 verstorbene Mutter Teresa von Kalkutta übertreffen, deren Seligsprechungsprozess ebenfalls im Eiltempo absolviert wurde. Das Verfahren begann mit besonderer Erlaubnis von Johannes Paul II. im Juni 1999. Das bis dahin kürzeste Beatifikationsverfahren der Neuzeit endete am 19. Oktober 2003 mit der Seligsprechung der barmherzigen Nonne.

Extrem langwierig war dagegen der Kanonisierungsakt der Jungfrau von Orleans. 1431 hingerichtet, wurde die französische Nationalheldin Jeanne d’Arc erst 1920 als Heilige zur Ehre der Altäre erhoben.

Wer im Fall von Johannes Paul II. einen Sonderweg – eine Lex Wojtyla – vermutet, liegt falsch. Seligsprechungsverfahren sind kirchenrechtlich genau geregelt und lassen kaum Spielraum zu. Allein das Kirchenoberhaupt darf die Wartezeit nach Belieben verkürzen. Der Prozess im Vatikan ist ein Musterbeispiel an akribischer Bürokratie und geradezu kriminalistischem Spürsinn: Er besteht aus der detailgetreuen Prüfung des Lebens und Wirkens des Aspiranten, seiner Bücher, Schriften, persönlichen und fremden Zeugnisse.

Im Mittelalter entschied das Volk, wen es für heilig hielt

Wie nicht anders zu erwarten war, hat die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse festgestellt, dass der polnische Papst ein Mann von heroischer Tugendhaftigkeit und ein Vorbild im Glauben war. Vorbedingung für die Eröffnung eines jeden Verfahrens zur Selig- und Heiligsprechung ist der Nachweis einer Wundertätigkeit, die einem strengen, langwierigen Prüfverfahren unterworfen wird, bevor sie vom Vatikan offiziell als Wunder anerkannt wird.

Im Prinzip handelt es sich bei diesem Regularium für das „Mysterium salutis“ – das Geheimnis des Heils – um ein Ausschlussverfahren. Ein rund 70-köpfiges Gremium der vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse – Theologen, Juristen und Mediziner – durchstöbert Krankenakten und klinische Berichte, begutachtet Röntgenbilder, liest Zeugenaussagen und wälzt ganze Bibliotheken von Unterlagen, Büchern und Protokollen mit wissenschaftlicher Akribie und kriminalistischem Scharfsinn.

In der Regel dauern Selig- und Heiligsprechungen in der Katholischen Kirche Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte. Die römischen Expertisen sind Teil eines komplizierten Verfahrens, das zweifelsfrei und wissenschaftlich hieb- und stichfest nachweisen soll, was eigentlich so unerklärlich an dem gewirkten Wunder ist.

2004 wurde das sogenannte Martyrologium Romanum aktualisiert – in diesem Verzeichnis sind alle Heiligen, Seligen und Märtyrer aufgeführt. Selbst Eingeweihte in der Kirche kennen nicht die genaue Zahl, da das Heiligenwesen in seiner heutigen Form erst 1588 von Papst Sixtus V. geregelt wurde. Im frühen Mittelalter hatte noch das gläubige Volk entschieden, wen es für heilig hielt. Ab dem Hochmittelalter trat an die Stelle dieses populären Votums ein kirchenrechtlich genau festgelegter Prozess. Darin werden vom sogenannten Verteidiger Gottes („Advocatus dei“) Argumente für die Heiligsprechung vorgebracht, während der Anwalt des Teufels („Advocatus diaboli“) gegen die geplante Ehrung argumentiert.

Beim Märtyrertod braucht es kein Wunder

Johannes Paul II. hält unter allen Päpsten den Rekord an Beatifikationen und Kanonisierungen: Während seiner Regentschaft sprach er 1316 Personen selig und 483 heilig. Zum Vergleich: In den 400 Jahren zuvor gab es nur rund 300 Heiligsprechungen. Bis 1983 waren für Seligsprechungen bis zu vier und für Heiligsprechungen noch mal drei Wunder erforderlich. Unter Karol Wojtyla wurde die Anforderung auf je ein wundersames Tun reduziert. Am 1. Mai 2011 wurde er von Benedikt XVI. selbst seliggesprochen. Am 30. September 2013 teilte schließlich Papst Franziskus mit, dass Johannes Paul II. und Johannes XXIII., der von 1958 bis 1963 im Amt war, am 27. April 2014 gemeinsam heiliggesprochen werden sollen.

Grundvoraussetzung für alle Selig- und Heiligsprechungen ist die Verehrung durch die Gläubigen. Wer den Märtyrertod gestorben ist, kann auch ohne Anerkennung eines Wunders geehrt werden. Ansonsten muss die Kommission mindestens ein Mirakel nachweisen. Am 1. Mai 2011 – dem Tag seiner Seligsprechung – soll Johannes Paul II. eine Frau aus Costa Rica von ihrer Gehirnverletzung geheilt haben, als sie den Verstorbenen um Hilfe anflehte. Die Heilung einer an Parkinson erkrankten Nonne war zuvor als Wunder für seine Seligsprechung anerkannt worden.

Dieses Verfahren wirkt auf viele wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Vor allem das geforderte Wunder erinnert an Schamanismus und Mystizismus und steht im krassen Widerspruch zum modernen wissenschaftlichen Weltbild. Der Vatikan beteuert stets, dass alles gewissenhaft geprüft werde und mit rechten Dingen zugehe. In der Katholischen Kirche gilt die plötzliche Heilung von einer unheilbaren oder schweren Krankheit, die sich auf Fürsprache des Toten hin ereignet haben soll, nun mal als Wunder. Doch die Vorstellung, dass ein Verstorbener zur Heilung eines Menschen beitragen kann, ist für viele Menschen äußerst befremdlich.

Ob man dies für Aberglauben, Frömmelei oder ein Mysterium hält, ist letztlich Privatsache. Beweisen lässt es sich jedenfalls nicht.