Die Tatwaffe ist nicht aufgetaucht. Foto: Archiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Gericht: 77-Jähriger wegen Angriff mit Messer angeklagt / Urteil wird für 1. Februar erwartet

Von Bernd S. Winckler

Jettingen. Das genaue Motiv, warum ein 77-jähriger Rentner in Oberjettingen plötzlich und ohne Vorwarnung mit einem Messer auf einen 64-jährigen Mann einstach, ist nicht bekannt. Der 77-Jährige muss sich jetzt vor dem Stuttgarter Landgericht wegen versuchten Totschlags verantworten, sagt aber nur, er sei beleidigt worden.

Es sei ganz schnell gegangen. Der Zeuge berichtet den Richtern der Stuttgarter Schwurgerichtskammer, wie es an jenem Nachmittag des 25. September 2015 geschah: Er sei auf der Straße gewesen, neben seiner Garage.

Da sei der 77-jährige Angeklagte auf ihn zugegangen, habe aus einer Seitentasche ein Messer gezogen und damit von oben nach unten kräftig auf ihn eingestochen. Er wich zwar noch aus, konnte aber nicht verhindern, dass ein Stich im Brustbereich die Folge war. Danach flüchtete der Verletzte in die offenstehende Garage.

So ähnlich lautet jetzt auch die Anklage gegen den 77-Jährigen, der bis zu jenem fast tödlichen Vorfall in einer von der Jettinger Gemeinde zur Verfügung gestellten Obdachlosen-Unterkunft lebte: Er habe nach einem mutmaßlichen Streitgespräch gegen 15 Uhr aus seiner Seitentasche ein Messer gezückt und damit auf den Oberkörper des Opfers eingestochen. Dabei, so die Anklage weiter, dessen möglichen Tod billigend in Kauf nehmend. Da der 64-Jährige allerdings reflexartig zur Seite wich, habe ihn die Messerspitze nur noch leicht getroffen. Die Folge war ein 1,5-Zentimeter-Stich am rechten Brustbein, der im Krankenhaus ambulant versorgt wurde. Das Tatmesser hingegen, welches die Polizei später am Tatort und auch im Zimmer des Beschuldigten suchte, wurde bis heute nicht gefunden. Man vermutet, dass es eine etwa 20 Zentimeter lange Klinge hatte. Die Verletzung hat das Opfer erst später bemerkt.

Eine Blutprobe beim Angeklagten brachte allerdings zutage, dass er an jenem 25. September erheblich alkoholisiert war. Den Wert gibt der Staatsanwalt mit 2,01 Promille an, was nahe an der Volltrunkenheit heranreicht. Der Angeklagte selbst wollte auf Anraten seines Verteidigers zum Tatgeschehen direkt jetzt noch nichts sagen. Er gab nur an, dass er seit gut einem Jahr ständig von verschiedenen Menschen, darunter auch Freunde, schwer beleidigt werde. Möglicherweise eine Art wahnhafte Einbildung, vermuten Psychiater. Und möglicherweise geschah deshalb der Messerstich auch im Zustand eines solchen Wahns. Eine Einweisung in die geschlossene Psychiatrie sei möglich, sagte der Gerichtsvorsitzende.

Der 77-Jährige war bereits schon vor 22 Jahren einmal zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Worum es damals ging, ist nicht bekannt, soll aber im Wege der Vorstrafen-Verlesung noch eingefügt werden. Er stammt aus der Türkei, kam als 30-Jähriger im Jahre 1968 nach Deutschland und arbeitete in der chemischen Industrie. Nach seiner Ehescheidung im Jahr 1966 lebte er in einem Zimmer der Unterkunft in Oberjettingen, wo ihn nach eigenen Angaben jeder, der ihn treffe, beleidige. Selbst die Ärzte in der Psychiatrie, in die er vorläufig untergebracht ist, würden ihn beleidigen. Und wenn er beleidigt werde, "dann verliere ich meinen Verstand", sagt er.

Trunkenheit oder krankhafter Wahn – das Gericht wird in mehreren Prozesstagen prüfen, ob gegen ihn eine Haftstrafe, oder die Einweisung in die Psychiatrie in Frage kommt. Das Urteil ist für den 1. Februar geplant.