Graue Wolken dräuen über dem Reichstag: Nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche wirkt die Situation verfahren. Foto: dpa

Freiburger Politikwissenschaftler spricht über das Jamaika-Aus, die Kanzlerin und die Möglichkeiten.

Freiburg - Der Jamaika-Schock sitzt tief: Was passiert nun in der Bundespolitik? Wie viel politische Kraft hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch? Fragen, die auch den Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith im Gespräch mit unserer Zeitung umtreiben.


Herr Eith, wenn etwas schiefgeht, dann stellen Menschen immer gern die Schuldfrage. Deshalb auch hier: Wer trägt die Schuld am Scheitern der Jamaika-Sondierungen? Die FDP, weil sie ausgestiegen ist? Oder doch die anderen beteiligten Parteien?
Von außen ist das sehr schwer zu beurteilen. Mich wundern allerdings die öffentlichen Erklärungen der Liberalen, die an den Verhandlungen ja beteiligt waren. Wieso kommen sie erst nach vier Wochen zu dem Schluss, dass die Verhandlungen zu viele Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte beinhalteten? Das hätte man früher erkennen und zielgerichteter verhandeln können, wenn man denn grundsätzlich an einer tragfähigen Einigung interessiert ist. Nach Aussage der drei anderen Parteien lag der positive Abschluss der Gespräche in greifbarer Nähe. Aber nochmal, von außen ist das schwer zu beurteilen.


Das Land scheint vor der Wahl zwischen Pest und Cholera zu stehen: Soll es eine Minderheitsregierung geben oder doch besser Neuwahlen? Und: Wer würde bei Neuwahlen als Profiteur der Situation dastehen?
Bis vor Kurzem konnte auch ich mir für Deutschland eigentlich keine Minderheitenregierung vorstellen. In der aktuellen Situation erscheint mir diese Alternative, zumal wenn man an einen Zeithorizont von ein bis zwei Jahren denkt, allerdings besser als möglichst schnelle Neuwahlen. Wer bei direkten Neuwahlen letztlich profitieren wird, ist heute nicht abzuschätzen. Nach den aktuellen Umfragen würde sich das Wahlergebnis nicht entscheidend ändern, sodass wir dann möglicherweise erneut vor denselben Problemen stehen: Die SPD wählt die Oppositionsrolle, und Jamaika-Sondierungsgespräche hatten wir bereits. Die Berufung einer Minderheitenregierung durch den Bundespräsidenten würde den Parteien und auch den Bürgerinnen und Bürgern zumindest erst einmal etwas Zeit zum Überdenken der eigenen Positionen verschaffen. Es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass zumindest in den Unionsparteien ein Wechsel in den Führungspositionen stattfindet. Und wenn die Suche nach jeweiligen Mehrheiten für Gesetzesvorhaben die parlamentarischen Diskussionen anheizt, kann das der Demokratie auch guttun. Eines zumindest ist gewiss, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellt sicher, dass wir stets eine amtierende Regierung haben. Berlin ist in diesem Sinne eben nicht Weimar.


Politik ist immer eine Frage von Kompromiss und Verantwortung. Müsste da nicht auch die SPD nun wieder ins Rennen um die Regierungsbildung einsteigen?
Die Sozialdemokraten haben sich festgelegt. Ich erwarte hier eigentlich keine Rolle rückwärts. Und natürlich ist an deren Argument richtig, dass beide früheren Regierungsparteien, die Union und die Sozialdemokraten, krachende Wahlniederlagen einstecken mussten. In diesem Sinne wurde die große Koalition abgewählt. Und auch in der Sache halte ich die Fortsetzung der großen Koalition für kein Zukunftsprojekt. Welche politischen Risiken der Zusammenschluss der Parteien der politischen Mitte über kurz oder lang mit sich bringt, kann man in Österreich besichtigen. Die Jamaika-Verhandler haben die greifbare Chance vertan, ein breites Zukunftspaket für Deutschland zu schnüren.


Wenn man die internationale Presse verfolgt, dann bedroht das Jamaika-Scheitern auch die stabilisierende Rolle Deutschlands auf der Weltbühne. Sogar das Wort Weimar war schon zu lesen. Wie gut oder schlecht ist es um die Stabilität unseres Landes nun bestellt?
Mir ist um die Stabilität der Demokratie bislang nicht bange. Die Klugheit und der Wert von Verfassungsregelungen zeigt sich immer dann, wenn sie herausgefordert werden. Das ist beim System der Checks and Balances in den USA nicht anders als derzeit in Deutschland bei der Frage der Regierungsbildung. Es gibt auch jenseits von Jamaika politische Alternativen. Das Heft des Handelns liegt nun beim Bundespräsidenten.


Viel ist nun Merkels Position diskutiert worden und über die Frage, ob sie noch genug politisches Gewicht hat, um die Situation zu ordnen. Ist ihr das zuzutrauen? Oder droht ihr wie einst Helmut Kohl (CDU) ein Verharren in einer Machtposition weit übers Verfallsdatum hinaus?
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Regierungszeit der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden so langsam dem Ende zuneigt. Allerdings stärken sie die aktuellen Entwicklungen kurzfristig. Anders als in der CSU ist bei der CDU mit einem offen Schlagabtausch um die Frage der Führungsposition nicht zu rechnen. Frau Merkel wird meiner Einschätzung nach zunächst Bundeskanzlerin bleiben. Allerdings ist sie gut beraten, dann auch aus einer Position der relativen Stärke ihren Abschied als international höchst angesehene Bundeskanzlerin selbstbestimmt in die Wege zu leiten. Mittelfristig steht auch bei der CDU ein Führungswechsel bevor.