Herr Stone, Sie gelten in Ihrer Heimat vielen als zynischer Opportunist, als Nestbeschmutzer und als Fidel-Castro-Versteher . . .
. . . wobei der letzte Vorwurf wohl der mit Abstand verwerflichste ist (lacht). Dabei sehen viele meiner Landsleute nicht, dass ich ein Mann bin, der sein Vaterland aufrichtig liebt. Und genau deshalb die Finger in die Wunden legt, wenn etwas falsch läuft. Vor allem wenn es im Namen eines falsch verstandenen Nationalismus oder Patriotismus geschieht. In meinen Filmen habe ich immer versucht, die Wahrheit herauszufinden und der Desinformation oder gar Vertuschung – sei es von staatlicher oder anderer Seite – entgegenzuwirken. Wenn ich etwas hasse, dann die Arroganz der Macht. Nur wer den wahren Sachverhalt kennt, kann sich doch auch frei entscheiden. Natürlich lebt es sich mit einer Lüge immer leichter. Aber das war nie meine Art. Und schon gar nicht, wenn man hinter die Fassade blicken kann.
Aber können Sie das immer? Hat Ihnen nicht genau diese Anmaßung den Ruf als großer Verschwörungstheoretiker eingebracht?
Ich behaupte ja nicht, dass mir das immer gelingt. Und Sie können mir glauben: Auch ich musste das Zweifeln erst lernen. In meiner Jugend war ich ein Konformist und Mitläufer. Aber irgendwann konnte ich die Dinge, so wie sie liefen, nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren und habe angefangen, sie zu hinterfragen. Und dieses Recht, gewissen Sachverhalten auf den Grund zu gehen, habe ich mir bis heute nicht nehmen lassen. Warum auch? Wenn man mich deshalb für einen Verschwörungstheoretiker hält, soll es mir recht sein. Ganz abgesehen davon: Die einfachste Methode, jemanden zu diskreditieren, ist doch, ihn als Verrückten abzustempeln oder gleich als Staatsfeind.
Wie Edward Snowden zum Beispiel?

Als ich 2014 mit der Produktion des „Snowden“-Films angefangen habe, war Edward Snowden in den Augen der meisten Amerikaner ein Volksverräter. Sofort nach der Enthüllung der Geheimdokumente, die er an die Weltpresse weitergegeben hatte, wurde er von der politischen Elite dämonisiert. Er wurde zu Persona non grata. Und das war auch der Grund, warum ich den Film in Deutschland gemacht habe. Kein amerikanisches Studio hatte den Mut, sich auf dieses Projekt einzulassen. Zum Glück hatte ich schon lange vorher einen Deal mit dem deutschen Produzenten Moritz Borman, mit dem ich bereits viele Filme gestemmt habe. Moritz hat mir dann für diesen Film München und Umgebung empfohlen und natürlich auch die Bavaria-Studios. Dort entstand der größte Teil des Films.

Was Oliver Stone von Snowden hält

Hierzulande hört man beim Thema „Abhören“ oft den Satz: „Ich habe nichts zu verbergen!“
Das ist in Amerika nicht anders. Das hat damit zu tun, dass junge Menschen zu diesen sogenannten Neuen Medien eine ganz andere Einstellung haben als wir älteren. Sie haben kein Problem, sich zum Beispiel auf Facebook der ganzen Welt zu offenbaren. Wir Älteren sind da meist vorsichtiger. Nicht, weil wir Schlimmes zu verbergen hätten, sondern weil bei uns das Private eben höher im Kurs steht. Die persönliche Freiheit ist mir natürlich sehr wichtig. Und wenn dieses Grundrecht verletzt wird, dann ist das fatal.
Was hatten Sie denn für einen Eindruck von Edward Snowden, als Sie ihn getroffen haben?
Ich war sehr angetan von seiner Aufgewecktheit, seiner Fähigkeit, sich zu artikulieren, seiner Intelligenz. Alles, was er sagte, hatte er vorher gut bedacht und abgewogen. Er scheint völlig ohne Falschheit zu sein, irgendwie sogar unschuldig wie ein Kind. Da gab es überhaupt keine Verschlagenheit, keine Verstellung oder gar Zynismus. Und das hat mich – nach allem, was er durchgemacht hatte – dann doch überrascht.
Sie haben Snowden einen Helden genannt . . .
. . . und für mich ist er das auch! Snowden ist ein echter Patriot, der sein Land liebt. Warum das Thema Snowden – und damit auch mein Film – in den USA so eine Brisanz besitzt, hat auch damit zu tun, dass sich dort die politische Stimmung in den letzten Jahren extrem verändert hat. Als ich in den 80er und 90er Jahren kritische Filme über Amerika gemacht habe, war das Klima liberaler. Das hat sich nach 9/11 schlagartig geändert. Da ging ein Rechtsruck durch Amerika. Der hat dann auch die Filmindustrie erfasst. Plötzlich gab es Serien wie „24“ oder „Homeland“, in denen so getan wurde, als würde Amerika tatsächlich durch die CIA oder das FBI beschützt werden können. Doch das ist alles eine Bunte-Bilder-Illusion. Das Gegenteil ist wahr: Die CIA und das FBI haben total versagt! Das US-Verteidigungsministerium hat bei 9/11 wirklich schlimme Fehler gemacht. Darüber regt sich in den USA allerdings kaum jemand auf.

Das denkt Stone über Trump als Präsidenten

Wenn man sich die Präsidentschaftskandidaten Trump und Clinton anschaut, könnte man zu einem anderen Schluss kommen. Was halten Sie denn von den beiden?
Ich finde sie beide furchtbar schlecht und bin, was die politische Zukunft der USA angeht, sehr pessimistisch. Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels.
Können Sie sich vorstellen, dass Trump zum Präsidenten gewählt wird?
Nicht wirklich. Aber ich setze auch keine großen Hoffnungen in Hillary Clinton – es sei denn, sie würde sich wesentlich verändern. Allerdings halte ich die demokratische Partei für besser als die Republikaner. Und ich hoffe wirklich, dass die Demokraten die Mehrheit im Kongress bekommen, weil sie dadurch zum Beispiel auch großen Einfluss darauf haben, die Richter für den Supreme Court auszuwählen. Die Republikaner sind auch ohne Trump völlig indiskutabel: Sie blockieren ja nur noch. Und sie haben schon lange dem eigenen Land den Krieg erklärt.