Kiesel am Kölner Rheinufer erzählen von Jahrmillionen alter Erdgeschichte / Granit machte sich vor etwa 700 000 Jahren auf den Weg

Von Wiebke Bomas

Wie kommt der Schwarzwald nach Köln? Er bröckelt geröllweise ab, nimmt den Neckar und biegt dann bei Mannheim gen Norden in den Rhein ab. Über mehrere Hundert Kilometer gibt es für das Schwarzwaldgeröll jetzt kein Rasten an Land: Erst ab Königswinter bei Bonn hat der Rhein wieder mehr Platz und fließt langsamer. Auf den breiten Geröllbänken der Kölner Bucht, wie es sie auch wenige Kilometer weiter am Kölner Rheinufer gibt, werden die Mitreisenden des Rheinstroms angespült: eben unser Schwarzwaldgranit, quarzhaltiger Sandstein aus dem Taunus, rote Buntsandsteine aus der Mosel und dem Schwarzwald oder Basalt- und Quarzsandsteine aus der Eifel.

Und natürlich viele andere Kiesel, die genau genommen gar keine sind – jedenfalls nicht alle. Denn Kieselstein geht auf den Begriff Kieselsäure zurück, aus dem Quarz besteht. "Alle anderen Gesteine hier sind Rheingerölle", erklärt Geologe Sven von Loga, der Exkursionen ans Kölner Rheinufer anbietet.

Wenn emsige Sammler dort Steinchen auflesen, ahnen diese meist gar nicht, wie weit und vor allem lang das schmucke Fundstück zwischen ihren Fingern gereist ist. "Pro Jahr hüppelt so ein Stein etwa einen Meter voran", versetzt von Loga die Exkursionsteilnehmer in Erstaunen. Für den Schwarzwälder Granitstein bedeutet das, dass er sich vor etwa 700 000 Jahren auf den Weg gemacht hat, wenn er kurz hinter der Quelle in Schwenningen im Schwarzwald-Baar-Kreis in den Neckargeplumpst ist. Das tatsächliche Alter der allermeisten Steine am Kölner Rheinufer ist um ein Vielfaches höher: "Die Steine, die hier liegen, stammen aus der letztenoder auch der vorletzten Eiszeit", verbreitet von Loga bei seinen Zuhörern Ehrfurcht vor dem Geröll unter ihren Füßen.

Für den Bau des Kölner Doms wurde "das halbe Siebengebirge verbraucht"

Barbara Vietz-Fuchte ist quasi von Berufs wegen an Steinen interessiert: Die Architektin aus dem Siebengebirge kehrt nie ohne eine Sammlung ausgesuchter Schönheiten aus dem Urlaub zurück. "Und da schließlich das halbe Siebengebirge für den Dom verbraucht wurde, will ich jetzt doch wissen, woher die Steine in Köln sonst noch kommen", scherzt Vietz-Fuchte. Christiane Hesse-Länder hat eine ganz andere Frage zur Kiesel-Exkursion ans Kölner Rheinufer getrieben: "Ich bin gebürtig aus dem Rheingau, da gibt es gar keine Kiesel am Rheinufer. Hier sind mir die Kieselbänke aufgefallen und die vielen unterschiedlichen Farben, die die Kiesel hier haben."

Tatsächlich ist es am Rheinufer bei näherer Betrachtung ganz schön bunt. "Am besten reiben Sie Ihre Steine mit Marmorpflegemittel oder Steinwachs ein", empfiehlt von Loga den Exkursionsteilnehmern für ihre heimische Sammlung. Erst dann kommen die Farben nämlich richtig zur Geltung. Vor Ort am Rhein muss ein bisschen Spucke reichen – oder besser gleich der Hammer. Von Loga: "Grundsätzlich müssen Sie den Stein kaputtschlagen, wenn Sie ihn betrachten wollen." Spricht es und schlägt ungerührt ein eher unscheinbares Fundstück eines Teilnehmers mit dem Hammer entzwei. Ein Blick ins kristallfunkelnde Innere zeigt: Unter seiner Oberfläche ist der Schwarzwald mehr rosa als schwarz. Geologisch gesehen, erklärt der Kiesel-Experte, besteht der Schwarzwald nämlich aus einem riesigen Granitblock. Hervorgegangen ist er aus Magma, das vor mehr als 300 Millionen Jahren aus dem Erdmantel hervorgekommen ist. In der Erdkruste ist die Gesteinsschmelze zu einem riesigen, kristallreichen Plutonit erstarrt, von dem hier in Köln kleine Absprengsel in Form von rosa Granitsteinchen mit weißen und schwarzen Anteilen angespült wurden. "Feldspat, Quarz und Glimmer – die drei vergess ich nimmer": Mit diesem Sprüchlein für Geologie-Studenten lernen die Steinfreunde, was den Schwarzwald zusammenhält: Rosa ist der Feldspat, weiß sind die Quarz- und schwarz die Glimmeranteile.

Mary Christnacht (Bild rechts) ist allerdings weniger scharf auf Rosa. Umso mehr hofft die siebenjährige Kölnerin auf glitzernde Fundstücke: "Eine Freundin aus der Nähe von Lörrach sammelt gerne Steine am Rhein. Bei der haben wir so schöne schwarzglitzernde Steine gesehen und wollen jetzt gucken, ob wir die hier auch finden", erklärt Marys Mutter Ina Christnacht, während ihre Tochter weit nach vorne gebeugt die Geröllbank absucht. Schließlich weckt sie zwar nicht mit Glitzer, dafür aber mit rotem Eisenerz die Begeisterung des Rheingeröll-Experten: "Das ist gut, das heb' mal auf", bittet von Loga das Mädchen. Später wird er den Kieselfreunden erklären, dass es sich um einen rund 300 Millionen Jahre alten roten Eisenkiesel des Karbon-Zeitalters aus dem Lahngebiet handelt. Besonders alt also – und besonders hart.

Reste von Seelilien kommen in den Sandsteinen aus der Eifel und dem Bergischen Land vor

Wie so viele der besonders weit gereisten Exemplare. Schließlich überstehen nur die Harten den jahrhundertelangen Rundschliff in den Rheinfluten. Nicht so der Kalkstein, aus dem die Schwäbische Alb überwiegend besteht: "Dieses 150 Millionen Jahre alte Gestein werden wir hier nicht finden, denn es löst sich im Wasser auf", macht von Loga klar. Fossilien dagegen, für die die Schwäbische Alb berühmt ist, findet das wachsame Auge auch hier in Köln. "Früher gab es hier ein riesiges Meer: das Devonmeer", schärft von Loga die Sinne seiner Zuhörer für Fossilienfunde. Vor allem die Stilreste von Seelilien, Verwandte der Seesterne, kommen in den Sandsteinen aus der benachbarten Eifel und dem Bergischen Land vor, von denen am Rheinufer viele Steinchen zu finden sind.

Fossil oder nicht: Stefan Kiss ist begeistert von dem Blick ins weiß funkelnde Innere eines Quarzsteins: "Hier sieht man ganz deutlich die Kristallstruktur." Er und seine Frau sind sozusagen schon alte Hasen, denn die Kieselführung am Rhein machen sie nicht zum ersten Mal mit. Perfekt ausgerüstet mit einem Hammer zieht das Paar weiter. Immer auf der Suche nach neuen Kieselschätzen und ihren Geschichten von teils Jahrmillionen alter Erdgeschichte.