Am Bahnhofsplatz, direkt vor den Steinquadern, sei der regungslose Mann aus dem Auto gezerrt worden, berichtet Torsten Hank. Er hat den Notruf gewählt und war bis auf eine weitere Frau seiner Einschätzung nach der einzige, der nicht weggesehen hat und bereit war, zu helfen. Foto: Hopp

Torsten Hank berichtet von Beobachtung: Mann wird aus Auto geworfen. Viele Passanten schauen weg.

Horb - Torsten Hank aus Horb hat beobachtet, wie ein Mann aus einem Auto auf den Bahnhofsplatz gezerrt wird und dort regungslos liegen bleibt. "Aber niemand hat geholfen. Das hat mich schockiert", sagt Hank. Wie viel Zivilcourage hat Horb?

"Ich dachte, hier wird ein Film gedreht", sagt Torsten Hank (40), wenn er sich daran erinnert, was er am vergangenen Mittwochnachmittag zwischen 15 und 16 Uhr am Bahnhofsvorplatz beobachtet hat. Hank will nur zur Post, und sieht, dann wie ein Auto an den Steinquadern auf dem Platz hält. Ein etwa 50-jähriger Typ steigt aus, zieht einen Mann am Oberkörper von der Rückbank und wirft ihn auf den Boden. Dort bleibt die Person reglos liegen. Der ältere Mann steigt auf der Beifahrerseite wieder ein. Das Auto braust davon.

Hank braucht kurz, um die Szene einschätzen zu können. Filmdreh? Nein. Die Reaktion der Leute an Horbs wohl belebtestem Platz: "Niemand hat geholfen!", sagt Hank. Eine ältere Frau sei vorbeigegangen. Auch die Gäste in den Bistros gegenüber hätten die Stelle gesehen, an der der Mann regungslos auf dem Boden lag, unternommen habe aber niemand was. Hank sagt: "Auf dem Platz saßen viele Jugendliche. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie das Handy rausholen und ein Foto machen."

Er greift in die Tasche, holt sein Smartphone raus und wählt die Notrufnummer. Am Telefon wird Hank darum gebeten, zu dem Mann hinzugehen, und auf den Krankenwagen zu warten. "Ich habe den Mann angestupst, er hat aber keine Reaktion gezeigt."

Eine Frau hält mit dem Auto an – sie sei die Einzige gewesen, sagt Hank, die außer ihm bereit gewesen wäre, nach dem Mann zu sehen.

Die Polizei trifft wenig später mit dem Krankenwagen ein. Einer der Beamten dankt Hank für seinen Anruf.

Die Polizisten haben nach Angaben ihrer Pressestelle festgestellt, "dass der Mann erheblich alkoholisiert ist. Allerdings benötigte er keine medizinische Hilfe. Die betroffene Person, die schon wiederholt wegen Trunkenheit aktenkundig geworden ist, wurde von den Beamten nach Hause gebracht".

Trotzdem beschäftigt Hank die Sache weiter. Er meldet sich bei unserer Redaktion. Betreff seiner Mail: "Zivilcourage gleich null". Hank sagt: "Es hätte ja auch was anderes mit dem Mann sein können." Er habe nicht erwartet, dass in Horb eine solche Gleichgültigkeit herrsche: "Alle gaffen und machen nichts, das hat mich gestört."

Ob das Wegschauen immer mehr um sich greift, kann die Pressestelle der Polizei nicht kommentieren. Einer Unfallflucht dürften bisweilen ähnliche Motive zugrunde liegen: Sich aus der Affäre zu ziehen. Hier gingen die Zahlen jüngst zurück. 2014 kam es im Landkreis Freudenstadt zu 476 Fällen von Fahrerflucht, 2013 waren es noch 521 Fälle. Das bedeutet einen Rückgang von 12,7 Prozent.

Es kann nur darüber spekuliert werden, warum viele Leute wegschauen – möglicherweise haben sie Angst, in einen komplizierten Fall verwickelt zu werden, als Zeuge zu ihren Beobachtungen aussagen zu müssen.

Die Polizei teilt dazu auf Anfrage mit: "Als Zeuge muss man wahrheitsgemäß wiedergeben, welche Wahrnehmungen oder Beobachtungen man machen konnte. Bei einem justiziellen Verfahren hat man die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen und auszusagen."

Torsten Hank hatte keine Scherereien. Der Polizist habe lediglich seine Telefonnummer haben wollen, damit er ihn anrufen kann, falls eine Aussage von ihm benötigt wird. Dazu sei es bislang nicht gekommen.