Um Untreue in 15 rechtlich selbstständigen Fällen ging es vor dem Amtsgericht Horb. Foto: Archiv

Amtsgericht Horb verurteilt Eltern von schwer pflegebedürftiger Tochter wegen Veruntreuung.

Horb - Eine menschliche Tragödie wurde gestern vor dem Horber Amtsgericht beleuchtet. Ein inzwischen geschiedenes Ehepaar saß vor Gericht, weil sie Geld, die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ihrer schwer pflegebedürftigen Tochter gehörten, für sich genutzt hatten.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft warf dem Vater insgesamt 84 Fälle der Untreue und der Mutter 93 Fälle der Untreue vor, die von beiden Angeklagten auch unumwunden zugegeben wurden.

Im Jahr 2006 hatte die Tochter einen schweren Verkehrsunfall. Seither ist das Kind, das damals drei Jahre alt war, vom Hals an abwärts gelähmt und muss nicht nur künstlich beatmet, sondern auch rund um die Uhr betreut werden. Dieser Schicksalsschlag stellte von einer zur anderen Sekunde das Leben aller Beteiligten auf den Kopf. Die Eltern, damals getrennt lebend, rückten wieder zusammen, wollten der Kinder Willen – sie haben noch einen gemeinsamen Sohn – trotz aller Widerstände wieder eine Familie sein. Als das Kind nach monatelanger Behandlung aus dem Krankenhaus kam, nahmen es die Eltern der Frau vorübergehend auf, da die Zweizimmerwohnung der Angeklagten zu klein war.

Das schwerbehinderte Kind bekam von der Versicherung ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 000 Euro sowie Mehrbedarfsleistungen in Höhe von 104 000 Euro ausbezahlt. Mit diesem Geld baute die Familie ein behindertengerechtes Haus, das so ausgestattet wurde, dass die Tochter dort auch gepflegt werden konnte.

Situation entpuppt sich als Fass ohne Boden

Für die beiden Angeklagten war klar, dass sie mit im Haus der Tochter lebten. Doch damit begann das finanzielle Dilemma des Ehepaars. Was sich anfangs so schön angehört hatte, in einem Haus direkt neben den Eltern der Frau zu leben, die bei der Pflege mithalfen, entpuppte sich später für das Ehepaar als Fass ohne Boden. "Die Nebenkosten plus Behördengebühren haben mich in den finanziellen Ruin gebracht – die haben mir die Haare vom Kopf gefressen", betonte der geständige Vater.

Ihm wurde im Wesentlichen vorgeworfen, dass er 63 Monate im Haus der Tochter gewohnt habe, ohne einen Cent Miete zu zahlen. Er habe so einen Schaden in Höhe von 31 500 Euro verursacht, rechnete ihm der Staatsanwalt vor. Weiterhin legte ihm der Anklagevertreter zehn Umbuchungen vom Geldmarktkonto der Tochter auf sein Konto zur Last.

Gemeinsam hätten das Paar zudem der Schwiegermutter ein zinsloses Darlehn in Höhe von 8000 Euro für den Ankauf eines Autos gewährt, von dem nur 1300 Euro zurückgezahlt wurden.

Der Mutter des schwerstbehinderten Kindes wurde zur Last gelegt, dass sie per Geldmarktkarte 93 Zahlungen und Abbuchungen getätigt habe, die sich zu einer ordentlichen Summe addierten und den Staatsanwalt beim Vorlesen jedes einzelnen Strafbestands für einige Zeit beschäftigte.

Mit dem Geld keine Luxusreisen gemacht

Der Tatvorwurf war klar und größtenteils belegt, die Verantwortlichen geständig und voller Reue, und alle verfahrensbeteiligten Juristen hielten ihnen zugute, dass sie mit dem Geld keine Luxusreisen gemacht hatten oder sich in anderer unseriöser Weise bereichert hätten, sondern das Geld zur Deckung des täglichen Bedarfs verwendet hatten. "Wir wollten, dass es unserem Kind so weit wie möglich gut geht" sagte eine tief bewegte Mutter, die aber auch zugab, dass man das schwer pflegebedürftige Kind oft sehr verwöhnt hat. "Sie hatte beispielsweise 16 Adventskalender", gab die Mutter mit als Grund an, warum sie so oft Geld vom Konto der Tochter holte.

Anwältin aus Dornstetten wird auf Fall aufmerksam

Der Fall kam ins Rollen, als eine Dornstetter Anwältin ab Oktober 2013 die Pflegschaft für das kranke Kind übernahm. "Diese Änderung der Vormundschaft war die einzige Möglichkeit des Kindes, sich den ständigen Streitigkeiten in der Familie zu entziehen", so die Anwältin im Zeugenstand. Heute lebt das Kind in einem Internat, das Haus ist an eine Großfamilie vermietet, und die Eltern sind nur noch lose über die beiden gemeinsamen Kinder verbunden. Beide gingen bisher unbescholten durch ihre Leben, doch die Gesamtsituation mit dem kranken Kind, das eine Rundumbetreuung brauchte, die gerade vom Vater oft 36-Stunden-Schichten abverlangte, brachte sie an die Grenzen des Möglichen. Beide waren unverschuldet in eine Situation geraten, die sie nicht meistern konnten.

Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick bat nach der ersten Anhörung die Rechtsanwältinnen der Beiden sowie den Staatsanwalt samt den beiden Schöffen zu einem Rechtsgespräch in sein Amtszimmer. In 25 Minuten erarbeitete man eine Verfahrensabsprache in dem festgehalten wurde, dass man sich auf einen Strafrahmen von maximal zwei Jahren und einem Mindestmaß von 15 Monaten verständigen kann, wenn die Angeklagten vollumfänglich die Tat zugegeben. Dies geschah dann auch durch Anwaltserklärung, und das Gericht verurteilte beide Angeklagten zu jeweils 18 Monaten Freiheitsstrafe, die auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt wurde sowie zu spezifischen Zusatzauflagen. So muss die Frau 50 Arbeitsstunden ableisten und der Mann weiterhin pro Monat 50 Euro auf das Treuhandkonto der Rechtspflegerin als Schadenswiedergutmachung zahlen. Außerdem müssen beide Beschuldigte die Kosten des Verfahrens teilen.

Richter Trick betonte in seinem Schlusswort, dass man menschlich das Verhalten der Eltern nachvollziehen könne, doch für das Kind, das trotz der hohen Schadenswiedergutmachung der Versicherung auf jeden Cent angewiesen ist, sei das Geld futsch. "Hier muss man messerscharf trennen, was ausschließlich für das Kind verwendet wird und was in den allgemeinen Lebensunterhalt einfließt. Das haben sie nicht gemacht, und deshalb müssen wir sie heute dafür bestrafen", erklärte Trick den Grund für das doch augenscheinlich recht drastische Urteil.