Pfarrerin Susanne Veith: Der heutige Buß- und Bettag bietet Gelegenheit, einmal stopp zu sagen

Von Martina Lachenmaier

Horb. Seit 1996 ist der Buß- und Bettag kein Feiertag mehr. Er wurde zur Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft. Für evangelische Christen hat er seine Bedeutung damit aber nicht verloren.

"Es scheint fast so, als ob er jetzt umso bewusster gelebt wird", meint die evangelische Pfarrerin Susanne Veith. Der Schwarzwälder Bote hat mit ihr über diesen evangelischen Feiertag gesprochen.

In der Vorbereitung auf diesen Tag fällt der evangelischen Pfarrerin eine Textstelle im Katechismus ein, dem Handbuch für Fragen im christlichen Glauben, die sie bei ihrer eigenen Konfirmation vorgelesen hat. Sie kann sie immer noch auswendig rezitieren. "Buße tun heißt: Umkehren in die offenen Arme Gottes. Dazu gehört, dass wir die Sünden herzlich erkennen, vor Gott und in gewissen Fällen auch vor Menschen bekennen, bereuen, hassen und lassen und im Glauben an Jesus Christus in einem neuen Leben wandeln."

Die evangelische Pfarrerin sagt: "In diesem Satz liegt alles drin, was den Buß- und Bettag ausmacht."

Gleichwohl sei im Volksmund das Wort Buße eher mit etwas Schlechtem verbunden. Gleich denke man an ein Bußgeldverfahren oder an das geflügelte Wort, das muss ich büßen. "Buße hat aber nichts mit Strafe zu tun", sagt Veith. Dieser Tag habe keine forensische Dimension. Sie sieht Buße vielmehr als Gelegenheit einmal "stopp" zu sagen.

Eigentlich bietet das Kirchenjahr viele Möglichkeiten, innezuhalten. Die Passionszeit oder den Advent. "Und früher gab es noch viel mehr Bußtage, an denen die Christen angehalten waren, für Notstände zu bitten." Aber wann leiste man sich das noch? Schnelllebige und laute Zeiten verhinderten das Stopp-Sagen heute. "Wir kommen kaum noch zum Innhalten und Nachdenken."

"Dort kann man dem eigenen Abgrund ins Auge sehen"

Der Bußtag fällt in die Zeit der Gedenksonntage. Volkstrauertag, Totensonntag. Leider werde man dann schon vom allzu frühen Weihnachtsrummel eingeholt. "Da wird uns Raum genommen zur Besinnung und es scheint so, als ob Stille kaum noch auszuhalten ist", sagt die Pfarrerin.

Sie versteht unter Buße eine Standortbestimmung. Und um auf den Katechismus zurückzukommen, Umkehr in die offenen Arme Gottes, sei die Einladung zu Gott zurückzukehren. Wer im Glauben lebt, sieht Gott als Korrektiv, setzt sein Leben in Beziehung zu ihm, fragt, was schief läuft und richtet sich immer wieder an ihm aus, so die Pfarrerin. Ihr fällt dazu das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein, den der Vater wieder mit offenen Armen aufnimmt.

Buße sei als Gesamtakt zu verstehen, als Weg mit vielen Schritten. Es beginnt im Herzen, dort wo das Entscheidungszentrum für Gut und Böse sitzt. Im Katechismus heißt es: Die Sünden herzlich erkennen. "Dort kann man dem eigenen Abgrund ins Auge sehen", so Veith. Reue ist ein Erkenntnisschritt auf diesem Weg. Aus ihm ergibt sich die Richtungsänderung, wie sie auch der verlorene Sohn vollzogen hat. Wer erkannt hat, dass er immer der Buße bedarf und weiß, er kann nur bestehen, wenn er immer zum Vater zurückkehrt, empfindet Buße als etwas, das frei macht", erklärt die Pfarrerin. In diesem Moment entfalten Buße und Reue ihre Wirkung nach außen. Menschen, die in der Buße leben, setzen Impulse für ihr Gegenüber und können in Taten und Worten Vorbild sein für andere. In der Erkenntnis als fehlerhaftes Wesen jeden Tag neu anfangen zu können, beziehen sie Stellung, stehen auf, haben den Mut sich gegen den Mainstream zu stellen.

Buß- und Bettag sei deshalb nicht nur am heutigen 19. November. Pfarrerin Veith versteht Buße als innere Haltung, die Christen jeden Tag begleiten sollte. "Wo muss ich umkehren", könnte eine klassische Frage am Buß- und Bettag sein. "Wo laufe ich mit oder bin in einem System gefangen." Der Fragende müsse sich nicht als Individuum verstehen, sondern könne den Blick auf die Gesellschaft weiten. Als politisches Wesen und Teil der Gesellschaft könne kritisch hinterfragt werden, wo die Gesellschaft auf Irrwegen ist. Wo sollte man wirtschaftliche Zwänge hinterfragen und neue Wege beschreiten? Lokale oder ökologische Nachhaltigkeit, lokales Handeln und globales Denken oder der Umgang mit Schwachen, das seien wichtige Themen am Buß- und Bettag. "Wir Christen leben nicht im luftleeren Raum, sondern mitten in der Welt." In diesem Sinne habe der Buß- und Bettag durchaus eine gesellschaftliche Bedeutung. "Er ist wichtig und eine Riesenchance", sagt die Pfarrerin.