Heimatgeschichte: Die Kultur- und Museumsvereinsvorsitzenden bekamen in Stuttgart einen dicken Hals

Das Landesarchiv Baden-Württemberg hatte Joachim Lipp und Heinrich Raible am vergangenen Dienstag zur Ausstellungseröffnung nach Stuttgart geladen.

Horb. Unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird im Kunstgebäude am Schlossplatz bis zum 19. Januar 2018 anlässlich des Reformationsjubiläums eine breit angelegte kulturhistorische Ausstellung zur Reformation in Württemberg mit dem Titel "Freiheit – Wahrheit – Evangelium" präsentiert.

Schon bei der Ankunft in Stuttgart zeigten sich bei den Vorsitzenden des Kultur- und Museumsvereins die ersten Schwellungen am Hals, da der Güterzugverkehr auf der wieder eröffneten Gäubahn für eine vierzigminütige Verspätung gesorgt hatte. Gerade noch rechtzeitig erreichten die beiden die Eröffnungsveranstaltung im Konzertsaal der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Beim anschließenden Empfang im Kunstgebäude schlotzten die zwei Horber im Beisein von Friedrich Philipp Carl Franz Maria Herzog von Württemberg einen edlen Rotwein aus dessen Weingut auf der Domäne Monrepos, worauf die Schwellungen schlagartig nachließen.

Bei der nachfolgenden Besichtigung der Ausstellung bekamen Lipp und Raible, die sich während einer viereinhalbjährigen Kugelfuhr in Horb für das Sebastian-Lotzer-Denkmal an der Kehre der Wintergasse verkämpft hatten, trotz des edlen Tropfens doch noch einen dicken Hals. Im Angesicht des Erstdrucks der Zwölf Artikel mussten sie erfahren, dass es sich in der Landeshauptstadt immer noch nicht herumgesprochen hat, dass Sebastian Lotzer aus dem Neckarstädtchen Horb stammt. Dabei hat der weithin bekannte Degerlocher Historiker und Schriftsteller Gerhard Raff das Lotzer-Denkmal in Horb vor elf Jahren gesponsert.

Auf der Tafel über der Vitrine mit dem Erstdruck ist zu lesen: "Die Zwölf Artikel als wichtigste und am stärksten verbreitete Programmschrift der Bauern wurde von Sebastian Lotzer aus Memmingen Ende Februar 1525 verfasst und formulierte die allgemeinen bäuerlichen Wünsche und Forderungen." Im Katalog zur Ausstellung wird die Abfassung der Zwölf Artikel noch auf den Zeitraum "zwischen dem 27. Februar und dem 1. März" konkretisiert, aber auch hier erscheint der gebürtige Horber als "Sebastian Lotzer aus Memmingen". Lotzers Geburtsort Horb wurde von den Ausstellungsmachern im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv überhaupt nicht realisiert. Diesen Fauxpas kann man allerdings leicht ins Licht der im Ausstellungstitel propagierten Wahrheit stellen, wenn man auf der Tafel das Wörtchen "aus" durch das Wörtchen "in" ersetzt.

Laut dem Beitragsband zur Ausstellung hat die Zwölf Artikel "der Memminger Kürschnergeselle Sebastian Lotzer für die Bauern im Südwesten zusammengestellt". Auch hier hat ein evangelischer Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen der Wahrheit nicht ganz Genüge getan. Sebastian Lotzer von Horb war auf seiner Wanderschaft als Kürschnergeselle um 1515 in die freie Reichsstadt Memmingen gekommen, wo er die Tochter oder wahrscheinlich eher die Witwe des Kramers Weigelin heiratete. Den Kürschnerberuf hängte er dabei wohl an den Nagel, denn 1521 trat Sebastian Lotzer erstmals als Mitglied der Memminger Kramerzunft auf, in deren Zunftstube am Weinmarkt das Bauernparlament vier Jahre später die Zwölf Artikel sowie die von Lotzer verfasste Bundesordnung der Christlichen Vereinigung verabschiedete.

Lediglich im Anhang der Erklärung zur ebenfalls ausgestellten Urfehde von Johann und Hieronymus Vetter aus Stuttgart und Jakob Lotzer aus Horb wird auf die Horber Herkunft seines "älteren Bruders Sebastian" verwiesen, wobei aber die "berühmten Zwölf Artikel" nur "maßgeblich" von ihm formuliert worden sind.

Es scheint in Stuttgart sowie in Tübingen noch wesentlicher Aufklärungsbedarf in Sachen Sebastian Lotzer zu bestehen, weshalb die Horber Nachtwächter vielleicht eine ganze Professorenriege zu ihrem Lotzer-Umgang am 29. September 2017 einladen müssen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.