Die Berufsmusiker Florian Seeger (Jungingen) und Thomas Nell (Haigerloch) spielen derzeit im Musical "Chicago"

Von Melanie Pieske

Jungingen/Haigerloch. Das Herzstück eines jeden Musicals ist das Orchester. Ein Teil davon sind Thomas Nell und Florian Seeger. Im 14-köpfigen Ensemble der Broadway-Inszenierung "Chicago" entführen sie die Zuschauer in Stuttgart musikalisch in die Welt der 20er Jahre.

Während in der Lounge des Stuttgarter Stage Palladium Theaters bereits eine halbe Stunde vor Showbeginn dichtes Gedränge herrscht und die Sektgläser über den Tresen wandern, sitzen Thomas Nell und Florian Seeger noch tiefenentspannt im Proberaum. "Hier haben wir rund einen Monat lang an den Musikstücken gefeilt", erzählt Trompeter Thomas Nell und führt durch den großzügig geschnittenen Raum.

Von dem Trubel in der Lounge ist hier nichts zu spüren. Ein paar Musiker stimmen ihre Instrumente, andere sitzen gemütlich auf dem Sofa und legen die Beine hoch, im Hintergrund läuft ein Fernseher. Ein Abend wie dieser ist ein Stück weit Routine. Thomas Nell pendelt sieben Mal die Woche aus Haigerloch nach Stuttgart – das macht 140 Kilometer am Tag, also rund 1000 Kilometer in der Woche.

Aber das sei es wert, um hier mitzuspielen, sagt er. Der Trompeter ist Berufsmusiker aus Leidenschaft. Mit zehn Jahren begann er mit dem Unterricht und spätestens während seines musikalischen Wehrdiensts im Luftwaffenmusikkorp keimte in ihm der Wunsch, sein Hobby zum Beruf zu machen. Fünf Jahre später hängte er seine Arbeit als Industriekaufmann an den Nagel und begann mit seinem Musikstudium.

In den kommenden 25 Jahren lernt er bei bekannten Solotrompetern, dirigiert Orchester, unterrichtet an der Jugendmusikschule Hechingen, tourt mit Volksmusikstars wie Helene Fischer und Florian Silbereisen durchs Land und spielt in namenhaften Sinfonien und Musicals. Seit Anfang November ist "Chicago" sein Bühnen-Zuhause.

Und das bietet dem alten Hasen im Musikgeschäft eine ganz neue Erfahrung: Die Musiker thronen in der Mitte der Bühne und sind nicht in einem Orchestergraben versteckt. "Wir sind quasi Teil der Inszenierung, weil sich die Schauspieler um uns herum bewegen", erklärt er. Und in die Gesichter des Publikums zu sehen, das sei schon ein großartiges Gefühl, verrät der 55-Jährige.

Links neben ihm auf der Bühne sitzt der Junginger Florian Seeger. Der 33-Jährige ist einer der Jüngsten in den Reihen der Musiker und für die Arbeit inzwischen nach Leinfelden gezogen. Mit Thomas verbindet ihn nicht nur sein derzeitiges Orchester-Engagement. Dass der Posaunist und Gitarrist heute Berufsmusiker ist, hat auch etwas mit dem Haigerlocher zu tun. "Thomas kenne ich schon lange, weil er in der Jugendmusikschule der Trompetenlehrer meines besten Freundes war", erzählt er.

Ende der 90er sitzt der damals 15-jährige Florian im Stuttgarter Publikum im Stück "Miss Saigon" – und entdeckt Thomas im Orchestergraben. "Ich fand das total super, von da an wollte ich das auch", erzählt er. Vor sieben Jahren beendete er sein Musikstudium und ist seitdem freiberuflich in vielen Big Bands unterwegs, geht wie Thomas mit deutschen Musikgrößen auf Tourneen oder spielt in den Stuttgarter Produktionen mit.

Ob sie bei all der Bühnenerfahrung noch nervös vor ihren Auftritten sind? "Also richtig aufgeregt sind wir nicht mehr", erklären sie. "Aber wenn ich auf die Bühne trete, dann setzt mich das schon unter Strom", sagt Florian. Das sei auch wichtig für die Konzentration. Wenn man über Monate dieselben Stücke spielt, dann müsse man immer aufpassen, dass bei aller Routine kein Schlendrian eintrete, erklärt er. Das werde sofort mit Fehlern bestraft. "Und als Blechbläser sollte man schon versuchen, möglichst viele Töne zu treffen", sagt Thomas und grinst.

Um den sportlichen Ehrgeiz zu wecken, führen die Musiker untereinander manchmal heimlich eine Strichliste. Jeder kleine Fehler wird hier vermerkt. Was dem Verlierer blüht? Das zu verraten bleibt keine Zeit. Die Uhr tickt, nur noch 15 Minuten bis zur Aufführung, Thomas und Florian müssen schnell ihre Instrumente stimmen. Im Proberaum steigt die Betriebstemperatur, die letzten schwarzen Hemden werden zugeknöpft und der Fernseher verstummt.