Mohamad und Bayan Al Homsi mit ihren beiden Kindern Khalid (2) und Mona (4 Monate). Foto: Pieske Foto: Schwarzwälder-Bote

Als Asylbewerber in Hechingen: Mohamad und Bayan Al Homsi erzählen von ihrer zweijährigen Flucht aus Syrien

Von Melanie Pieske

Hechingen. Im Familienblock des Aviona-Wohnheims lebt derzeit die junge syrische Familie Al Homsi. Ihre Flucht von Syrien führte sie über den Libanon und Ägypten nach Libyen, bevor sie die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer wagten. In Hechingen hoffen sie nun auf Asyl.

In der Zwei-Zimmerwohnung im Hechinger Aviona-Wohnheim jongliert die 17-jährige Bayan mit einer Hand einen Teller mit Apfel- und Orangen-Schnitzen, mit der anderen hält sie ihre vier Monate Tochter, die neugierig in die Runde schaut. Seit September vergangenen Jahres lebt die Familie Al Homsi aus Syrien in der Hechinger Sammelunterkunft. Gäste haben sie selten.

Viel Platz hat die Familie nicht. Ein Zimmer, in dem Bayan mit ihrem Mann Mohamad und den zwei Kindern schläft, und ein Wohnraum mit Küche und einem kleinen Essbereich. Zum Sitzen gibt es ein durchgesessenes Sofa und zwei Stühle an einem kniehohen Tisch. An den Küchenschränken kleben Zettel mit Tesafilm mit den Adjektiven "leicht, neu, sauber, modern" samt arabischer Übersetzung. "Ich versuche so schnell wie möglich Deutsch zu lernen", erklärt Mohamad.

Dass der 27-Jährige es mit seiner Familie nach Hechingen geschafft hat, grenzt an ein Wunder. 24 Jahre war er alt, als er mit seiner im sechsten Monat schwangeren Frau – zu der Zeit gerade mal 15 – die Flucht aus dem krisengebeutelten Heimatland wagte. Um dem Bürgerkrieg zu entkommen, entschloss sich das junge Paar seine Familie zu verlassen. Am Stadtrand von Duma, wo sie lebten, begann ihre Odyssee.

Mohamad erzählt, wie sie mit dem Taxi in die 15 Kilometer entfernte Hauptstadt Damaskus fuhren. Von dort aus überquerten sie zu Fuß illegal die Grenze zum Libanon. "Wir machten einen großen Bogen um die Kontrollpunkte, sonst hätte mich das Militär wahrscheinlich ins Gefängnis gesteckt", erzählt Mohamad.

Eigentlich wollten sie vom Libanon aus direkt nach Libyen zu seinem Onkel fliegen, doch im Reisebüro bekommen sie nur einen Flug nach Kairo. Drei Tage nach ihrer Flucht sitzen sie im Flieger. Den Weg nach Libyen sollten sie dann von Kairo aus mit dem Auto überwinden – rund 1300 Kilometer entlang der Küste nach Bengasi. Etwa zwei Jahre lebte die Familie – inzwischen zu dritt, Sohn Khalid war geboren – bei Mohamads Onkel. Er fand Arbeit als Elektroniker, soweit ging es ihnen gut. Bis auch dort die Kämpfe der Milizen das Leben immer gefährlicher machten. "Ich fand plötzlich keine Arbeit mehr, meine Frau war mit unserem zweiten Kind schwanger, und wir hatten große Angst", beschreibt der 27-Jährige die abermalige Gewissheit, die Familie in Sicherheit bringen zu müssen, "wir wollten keinen Krieg mehr." Es beginnt der wohl riskanteste Teil ihrer Flucht nach Europa: die Überfahrt über das Mittelmeer.

Er kratzte das Ersparte zusammen, macht sich auf die Suche nach Schleppern. 1000 Dollar hätten die Menschenschmuggler pro Person verlangt. Die Familie machte sich in die libysche Stadt Sabratha auf, von wo aus die meisten Flüchtlingsboote nach Europa aufbrechen. Sieben lange Tage harrten sie an der Küste aus. Das Meer war unruhig, die Schlepper wollten nichts riskieren und mahnten zur Geduld. Am Samstag, 2. August 2014 – dieses Datum wird Mohamad nie vergessen – geben die Schlepper das Signal zum Aufbruch. Drei Boote stechen an diesem Tag in See. "Die Boote waren zirka 15 Meter lang, ausgedient und marode", beschreibt der 27-Jährige die Zustände der kleinen Schiffe. 450 Insassen habe jedes gezählt.

15 Stunden saßen sie darin eng zusammengekauert, als kurz vor der italienischen Küste ein Sturm zwei der Boote zum Kentern brachte. Das der Familie Al Homsi hielt dem Unwetter zwar stand, braucht aber ebenfalls Hilfe. An diesem Wochenende rettete die italiensche Marine und Küstenwache 2500 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, melden am Montag, 5. August, die Zeitungen.

Darunter auch Mohamad, Bayan und Khalid.

Flüchtlinge liegen eng beieinander

Wo genau sie am Ende in Italien gelandet sind, das weiß Mohamad nicht mehr. Das große rettende Schiff der Küstenwache, das ist ihm aber im Gedächtnis geblieben. Er zeigt ein Foto auf seinem Smartphone: Die Flüchtlinge liegen eng beinander in Decken gehüllt und erschöpft auf dem Boden.

Als sie sich von Italien in Richtung Deutschland aufmachen, besitzt die Familie nur noch das, was sie am Leib trägt. Das wenige Gepäck, das sie mit auf das Boot genommen haben, ist im Mittelmeer untergegangen. Da die Italiener keine Fingerabdrücke genommen – und sie somit nicht registriert haben – reist die Familie mit dem Zug von Mailand nach München, von dort fahren sie nach Karlsruhe. Niemand möchte ihre Papiere sehen. "Das war ein Glücksspiel", sagt Mohamad und grinst. Nach EU-Recht müssen nämlich Flüchtlinge dort Asyl beantragen, wo sie zuerst registriert werden. Familie Al Homsi landet zur Erstaufnahme beim Regierungspräsidium Karlsruhe und wird dort vorläufig der Gemeinschaftsunterkunft in Hechingen zuwiesen.

Kurz darauf kommt die jüngste Tochter Mona in der Uniklinik in Tübingen zu Welt, Mohamad und Bayan sind erleichtert. "Wir sind unendlich froh, dass wir das alles überstanden haben", sagen sie. Mohamad möchte in Deutschland Arbeit finden und hofft, dass seine Kinder hier mal studieren können.

Sie fühlen sich wohl in Hechingen. Aber ohne die nötigen Sprachkenntnisse fühlen sie sich oft hilflos. Die Bürokratie sei enorm und arabische Übersetzer fehlen. "Ich habe immer Angst, etwas falsch zu machen, die Papiere falsch auszufüllen", sagt Mohamad.

Auch sein Onkel und seine Großeltern haben es inzwischen bis nach Deutschland geschafft. "Die Eltern, die leben aber noch im Krieg", sagt er, die dunklen Augen, die ansonsten Lachfalten werfen, blicken ernst. Da das Telefon und Internet in Syrien gekappt ist, spricht er sie nur rund einmal im Monat. "Sie laufen dann auf die umliegenden Felder oder in den Wald, dort bekommen sie dann manchmal Netz", erzählt er. Seine Eltern seien aber froh, dass er mit der jungen Familie nun in Sicherheit ist. Sicherheit, wiederholt Mohamad, das sei etwas, das er und seine Frau so lange gesucht und nun hoffentlich gefunden haben.

Lange war nicht klar, ob das Aviona-Gebäude saniert oder geschlossen werden soll – nun hat die Kreisbehörde eine Entscheidung gefällt: Die alte Industriebrache soll bis Ende 2016 geschlossen und verkauft werden. "Wir werden die Belegung langsam zurückfahren", erklärte Sozialdezernent Eberhard Wiget auf Nachfrage unserer Zeitung. Derzeit leben 74 Asylbewerber in dem Wohnheim – bis zu 190 Menschen waren es in Spitzenzeiten. Das Wohnheim sei derzeit nicht einmal mehr zur Hälfte belegt.

Im Jahr 2013 hatte der Landkreis den Gebäudekomplex in der Runkellenstraße von der Sparkasse Zolleralb für rund 242 000 Euro gekauft, um aus der ehemaligen Textilfabrik Aviona eine Asylbewerberunterkunft zu machen. Nicht nur wegen den zwei Brandstiftungen im vergangenen August hat das Hechinger Wohnheim Negativschlagzahlen geschrieben. "Der Gebäudekomplex ist einfach – um es gelinde auszudrücken – suboptimal", erklärte Wiget. Vor allem die Sanitäranlagen seien marode. "Es würde rund 50 000 Euro kosten, das Haus zu sanieren." Dieser Aufwand lohnt sich nicht mehr. "Wir sind schon auf der Suche nach Alternativen – manche Privatleute kommen mit konkreten Immobilien auf uns zu und bieten uns diese zum Kauf an." Bisher sei aber noch nichts Geeignetes dabei gewesen. Die Unterkunft soll Platz für 50 bis 60 Personen bieten.