Stabläufer verkörpern Schönheit der Jugend und Butzen den Tod / Die Chargen des Grosselfinger Narrengerichts (1)

Von Martin Beck

"Die Strafe ist gesetzt, bei Zepter und Thron": Mit diesen Worten wird in wenigen Wochen der Narrenvogt des Ehrsamen Narrengerichts zu Grosselfingen seine hochwohlweisen Urteilssprüche abschließen und die Verurteilten wieder in das Bad sprechen.

Der Bäder des Ehrsamen Narrengerichts hält Zangen zum Zähne ziehen, Rasiermesser und Scheren zum Bärte und Haare stutzen sowie Zuber und Wannen zum Baden der Delinquenten bereit. Er wird auch sicher nicht am Einsatz der Narrenpritsche sparen, um mit Stockschlägen auf den Allerwertesten der Verurteilten dem Recht Geltung zu verschaffen. Die Utensilien des Bäders sind aus Holz und seit Generationen im Einsatz. Die Bäder haben eine ganz besondere Stellung im Narrenreich der Herren von Venedig. Ihre Aufgabe ist es, die Leibstrafen umzusetzen, die das Ehrsame Narrengericht in den närrischen Gerichtssitzungen fällt.

Bevor die Sitzungen des Narrengerichts beginnen, verkündet der Bäder auf dem Marktplatz öffentlich das Bad und verkündigt, was im Reich der Herren von Venedig Recht oder Unrecht ist und was die Strafe für die Verbrechen ist.

39 unterschiedliche Chargen, das heißt 39 Narrenrollen, gehören zur Grosselfinger Fastnacht – eine Vielfalt, die in Europa einmalig ist. Jeder Narr spielt seine Rolle so, wie sie schon seit vielen Jahrhunderten in den Statuten des Ehrsamen Narrengerichts überliefert und durch Generationen von Narren weitergetragen wurde.

Ein Beispiel: Die ledigen Burschen verkörpern als Stabläufer die Kraft und die Schönheit der Jugend. Sie sind Sinnbild für den Frühling, die Gesundheit und das Leben. Ihr weißes Häs, die mit bunten Kunstblumen und farbigen Bändern geschmückten Schappeln und Hemden verleihen dem ganzen Narrenspiel seine prachtvolle Farbigkeit. Stabläufer tragen als Attribut einen spiralförmig rot- weiß gestreiften Stab mit einer Kugel aus Kunstblumen am oberen Ende. Stäbe oder Schwerter lassen sich schon im Mittelalter bei den sogenannten Stab- oder Schwerttänzen nachweisen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Stabläufer im Narrenspiel einen Tanz in der Tradition des Mittelalters aufführen. Als Tanzpartner werden nach der Überlieferung zuerst die Butzen gewählt. Dieser Tanzpartner könnte nicht gegensätzlicher sein, denn der Grosselfinger Butz verkörpert mit seinem schwarzen Gewand und seinem mit einer schwarzen Stoffmaske vermummten Angesicht den Winter, die Krankheit und den Tod. Die Butzen des Ehrsamen Narrengerichts gelten wegen ihrer lang nachweisbaren Tradition und ihrer Ursprünglichkeit als Vorbilder für die meisten Butzengestalten in der Region. Mit ihren mit Kunstblumen, farbigen Federn und Bändern geschmückten Butzenkappen gelten sie zudem als eine der schönsten Butzenfiguren überhaupt. Wenn also Stabläufer und Butzen miteinander tanzen, dann tanzen allegorisch Sommer und Winter, Jugend und Alter, Leben und Tod miteinander. Zum Schluss dürfen die Burschen aber mit jedem Mädchen tanzen, das sie höflich gefragt haben.

Die jüngeren Knaben dürfen noch nicht tanzen. Sie haben deshalb auch keinen Stab, sondern tragen am Gürtel einen Holzsäbel und sind Edelknaben. Sie bringen ganz in weiß wie die Stabläufer und mit denselben Blumen geschmückten Schappeln und verzierten Hemden die typische Farbigkeit in das Grosselfinger Fastnachtsspektakel. Edelknaben und Stabläufer bilden Spaliere und Eskorten für die Verurteilten des Narrengerichts.

Die jüngsten Buben gehen als Pagen in die Fastnacht. Sie dürfen mit Umhängen, Spitzhüten und mit Holzsäbeln ausgestattet am großen Narrenspiel teilnehmen.

39 Narrenrollen gehören zur Grosselfinger Fasnet

Die Bäder waren im späten Mittelalter Barbiere; in Städten und Dörfern waren sie Wundärzte. Sie hatten die Aufgabe, Kuren auszuführen, die Verletzte und Kranke zur Genesung benötigten. Im Narrengericht sind sie wie die Stabläufer, Edelknaben und Geiselläufer gekleidet. Sie haben aber statt weiße schwarze Beinkleider und tragen als Ehrzeichen zusätzlich eine rote Schärpe. In der Kopfbedeckung, der blumengeschmückten Schappel, ist ein Spiegel eingearbeitet wie bei den Geiselläufern, Edelknaben und Stabläufern. In der Bildersprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit symbolisiert der Spiegel die Eitelkeit, den Hochmut und die Ichbezogenheit des Narren.

Als Zeichen der größten Ehre werden die wichtigsten Narrenfiguren der Grosselfinger Fastnacht wie die Bäder, der Narrenvogt, die Majore und der Fähnrich mit der Standarte am Aufführungstag des Narrengerichts durch einen Festzug aller Narren persönlich an ihrem Haus abgeholt.

u In unserer Serie "Die Chargen des Grosselfinger Narrengerichts" stellen wir bis zum ersten Spieltag am Sonntag, 8. Februar, exemplarisch die Chargen des Ehrsamen Narrengerichts zu Grosselfingen vor.