Die Grosselfinger Seenplatte von 1500. Fünf Weiher lassen sich rekonstruieren. Das Schloss-Plateau und der Marktplatz erheben sich majestätisch über der Wasserfläche. Foto: Karte: LGL/LAD (Hesse/Lieb)

Grosselfingen. Vornehme Residenz, Pfarrdorf, Marktflecken und seit einem halbem Jahrtausend die Heimat des Ehrsamen Narrengerichts: Das ist Grosselfingen. Seine Denkmäler sind einzigartig. Im Zuge der Debatte um die geplante Sanierung von Marktplatz und Gesellenhaus rückt die Ortsgeschichte derzeit ins öffentliche Interesse.

Das Reich der »Herren von Venedig«, wie sich die Mitglieder des Ehrsamen Narrengerichts nennen, ragt weit aus den umliegenden Dörfern hervor. Drei Generationen der Herren von Bubenhofen machten im 15. und 16. Jahrhundert aus dem kleinen Dorf einen repräsentativen Sitz mit besonderen städtischen Privilegien wie Marktrecht und Hochgerichtsbarkeit.

Konrad der Ältere, Walter und Wolf von Bubenhofen haben Grosselfingen samt der Herrschaft Hainburg am 13. Oktober 1407 erworben. Die Hauptbebauung lag damals vermutlich im sogenannten Unterdorf nördlich des Krebsbachs, der heute zuweilen irrtümlich auch als Talbach bezeichnet wird. Nach und nach schufen die Herren von Bubenhofen in Grosselfingen eine vollkommen neue Infrastruktur zur Verwaltung ihrer umfangreichen Besitzungen.

Schloss Neuhaus wird Sitz der Verwaltung

Im heutigen Oberdorf auf dem dreiseitig steil abfallenden plateauähnlichen Geländesporn zwischen Krebs- und Raichbrunnenbach erbaute Konrad von Bubenhofen das Schloss Neuhaus als Mittelpunkt und Verwaltungssitz der Herrschaft Hainburg. Mit einem Halsgraben quer über den Geländesporn wurde das Schloss von der planmäßig nach dem Vorbild kleiner Landstädte neu erbauten Siedlung Grosselfingen getrennt. Zeitgleich stellte Konrad die damals verfallene Hainburg wieder her – ihm wird der Bau der mächtigen Schildmauer zugeschrieben.

Die Söhne Konrads des Älteren, Hans und Konrad der Jüngere, standen wie ihr Vater und ihr Onkel Wolf von Bubenhofen im Dienst der Württemberger. Am Hofe Graf Ulrichs V. (»der Vielgeliebte«) in Württemberg-Stuttgart wie bei Graf Eberhard V. (»im Barte«) in Württemberg-Urach waren sie angesehene Beamte und Räte. Hans von Bubenhofen brachte es gar zum Landhofmeister Graf Eberhards und wurde so dessen Stellvertreter. Die Herren von Bubenhofen waren im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts eine der reichsten Familien Schwabens. Ein Grund ihres beachtlichen Reichtums und Einflusses liegt in ihrer Tätigkeit für den württembergischen Hof und den Kaiser. Ein zweiter sicher in der vorbildlichen Verwaltung ihrer Besitzungen und  Wirtschaftsunternehmungen: Mahl- und Sägemühlen, Fischzuchten, Höfe.

In Grosselfingen haben sich bis heute bedeutende Bau- und Bodendenkmäler erhalten, die aus der Blütezeit der Herren von Bubenhofen stammen. Sie lassen sich in Lagerbüchern nachweisen und mit der neuen archäologischen Methode des Airborne-Scannings zu einem beeindruckenden Bild zusammenfügen.

Konrad der Ältere legte zu Beginn des 15. Jahrhunderts vier Dämme an, um den Krebsbach westlich, nördlich und nordöstlich des Oberdorfs aufzustauen. Den Raichbrunnenbach südlich und südöstlich des Oberdorfs ließ er mit zwei weiteren Dämmen stauen. So entstanden rund um Grosselfingen sechs große Weiher mit einer Gesamt-Wasserfläche von etwa 14 Hektar. Diese Seenplatte hatte die Größe von fast 20 Fußballfeldern. Eine Fischzucht, zwei Mahlmühlen und eine Sägemühle wurden vom Wasser der Weiher betrieben. Schloss Neuhaus und Grosselfingen ragten ähnlich wie die Lagunenstadt Venedig aus der großen Wasserfläche heraus: Die »Herren von Venedig« hatten ihr Reich, und die große Grosselfinger Fastnachtstradition konnte ihren Anfang nehmen.

Grosselfingen war auf drei Seiten von Steilhängen und Wasser umgeben, das Schloss Neuhaus nochmals extra durch einen Halsgraben im Gelände geschützt. Und die vierte Seite des Dorfs? Da stand seinerzeit ein Turm, und es war ein weiterer Graben angelegt worden.

Die Brüder Hans und Konrad von Bubenhofen konnten durch Erbschaft und Kauf ihr Vermögen und ihre Besitzungen erheblich vermehren. Sie besaßen neben der Herrschaft Hainburg mit Grosselfingen als ihrem Residenzort auch Geislingen mit der Herrschaft Geislingen, an der Donau die Herrschaft Falkenstein, die Pfandschaft Balingen mit der Stadt Balingen und den Dörfern Ostdorf, Waldstetten, Weilheim (heute Weilstetten), Endingen, Erzingen, Engstlatt, Heselwangen, Frommern, Tieringen, Oberdigisheim und Hossingen bis hinauf nach Meßstetten, die Herrschaft Gammertingen und Hettingen mit allen zugehörigen Dörfern wie Feldhausen, Harthausen, Bronnen, Kettenacker, Ittenhausen, Hermentingen und Teile von Neufra sowie dem Kloster Mariaberg. Im Glatttal gehörte ihnen die Herrschaft Leinstetten und Lichtenfels, dazu kam etlicher Streubesitz in der näheren und weiteren Umgebung wie das Stadthaus und der sogenannte Bockshof beim heutigen Pulverturm in Rottweil. Die Gebrüder Bubenhofen waren Geldgeber der Grafen von Hohenzollern, der Grafen von Württemberg und vieler anderer.

Konrad der Jüngere von Bubenhofen erreichte 1472 durch den Bischof von Konstanz die Erhebung der bereits im 14. Jahrhundert erwähnten Grosselfinger Kaplanei zur eigenständigen Pfarrei. Die Altäre der Pfarrkirche wurden den Heiligen Johannes und Rupprecht sowie der Gottesmutter Maria gewidmet.

Die Söhne Konrads des Jüngeren trieben den Ausbau Grosselfingens zur Stadt nach dem Tod ihres Vaters 1478 weiter voran. Hans Heinrich von Bubenhofen erlangte nach nicht ganz hundertjährigem Bubenhofischen Wirken im Juli 1505 Marktrecht und Hochgerichtsbarkeit für Grosselfingen. Auf dem Reichstag in Köln verlieh König Maximilian I. »seinem und des Reichs lieben getreuen Hans Heinrich von Bubenhofen« diese städtischen Privilegien. Durch den Bau einer weithin sichtbaren Hinrichtungsstätte auf dem sogenannten Galgenrain hoch über dem Ort hatte jeder Bewohner von Grosselfingen dieses besondere königliche Privileg täglich vor Augen. Am Aufstellungsort des Galgens stand bis nach 1890 das sogenannte Galgenkreuz.

In dem zum Marktflecken erhobenen Pfarrdorf Grosselfingen ließ Hans Heinrich von Bubenhofen nördlich des Krebsbachs die sogenannte »Schriet Wiese« beim »Bilderhäusle« (Wendelinus-Kapelle) zum Marktplatz ausbauen. Die Felsplatte aus Arietenkalk, die nur wenige Zentimeter unter der Grasnarbe liegt, gab ein sehr gutes natürliches Pflaster für den Marktbetrieb. In den Platz war alles hinein geplant, was den wirtschaftlichen Erfolg garantieren und die Zukunft sicherstellen sollte: regelmäßige Form, ein Marktkreuz als Zeichen der Privilegierung, zwei verengte und verschließbare Zufahrten, gleichmäßig eingeteilte Grundstücksparzellen für eine geschlossene Bebauung rund um den Platz und ein hervorgehobener Standort für das Rathaus, das in den Marktplatz hineinragt und die Zufahrtsgasse dominiert – heute spricht man vom Gesellenhaus.

Der mit königlichem Privileg ausgestattete Grosselfinger Marktplatz war die Idealanlage eines Marktplatzes zu Anfang des 16. Jahrhunderts und sollte den Anfang auf dem Weg zur Stadt bilden. Ein Marktplatz in dieser unveränderten Form ist in baden-württembergischen Landgemeinden heute eine absolute Rarität.

Badstube steht am »Bilderbrünnle«

Die kleine Wendelinus-Kapelle am Eingang zum Marktplatz, das sogenannte »Bilderhäusle«, ist seit 1445 schriftlich belegt. »Ob der Badstube« wird sie 1497 zum ersten Mal genannt. Die Badstube stand demnach unterhalb der Kapelle in direkter Nähe zum »Bilderbrünnle«, der als unversiegbare Quelle galt. Im Reich der »Herren von Venedig« zitiert seit mehr als 500 Jahren das Ehrsame Narrengericht seine Angeklagten zur närrischen Strafe in das Bad. Hier werden die Verurteilten zur Belustigung der Zuschauer öffentlich rasiert, gebadet oder ausgepritscht. Durch das heilige Wasser des »Bilderbrünnles« soll der Verurteilte Heilung und Erlösung von seinen Missetaten erfahren. Der Rathausneubau von 1970 hat diese historische Spielstätte des Narrengerichts beseitigt, der Narrenbrunnen steht heute auf dem Marktplatz.

Grosselfingens Glanzzeit endete mit dem Tod von Hans Heinrich von Bubenhofen 1522. Einige Jahre später gelangte seine Residenz in den Besitz der Grafen von Zollern. Sie hatten kein Interesse an Konkurrenz zu ihrer Burg und ihrer Stadt Hechingen. Der Niedergang begann. Trotzdem war Grosselfingen die größte Landgemeinde im Besitz der Zollern und so wichtig, dass die enge Gasse zum Marktplatz 1733 Schauplatz der legendären »Schlacht von Grosselfingen« wurde, in der eine fürstliche Exekutionstruppe eine empfindliche Niederlage einstecken musste.