Miroslav Klose, Joachim Löw: Abschied nach der WM? Foto: dpa

Hört Joachim Löw als Weltmeistercoach auf? Oder tritt der Bundestrainer erst recht zurück , wenn er an Argentinien scheitert? So oder so kursiert der Name eines ehemaligen Bundesligatrainers. 

Rio de Janeiro - Wann, wenn überhaupt, ist sich ein Bundestrainer seiner Sache so sicher gewesen? „Wir sind den tiefen Emotionen und der Leidenschaft der Brasilianer mit Ruhe, Ausdauer, Klarheit und Beharrlichkeit begegnet“, sagte Joachim Löw (54) nach dem fulminanten 7:1 gegen Brasilien, „wir wussten: Wenn wir uns unserer eigenen Stärken bewusst sind, gewinnen wir.“

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Dieser Satz nach einem der mitreißendsten Spiele der Fußballgeschichte könnte zum Vermächtnis des Freiburgers bei dieser WM werden – erst recht, wenn die Nationalmannschaft an diesem Sonntag (21 Uhr/ARD) im Finale gegen Argentinien den Titel erobert. Der Satz ist deshalb bemerkenswert, weil er präzise ihr neues Selbstverständnis und den Wandel ihres Trainers beschreibt: Ergebnis geht über Erlebnis. Munter waren die Brasilianer drauflosgestürmt. Als sie gewahr wurden, dass sie 0:2 zurücklagen, fanden sie kein Mittel mehr, um ihren Untergang aufzuhalten. Die Deutschen, gerissen wie Raubtiere auf der Jagd, hatten sich ihre Beute längst zurechtgelegt und zerlegten sie nun genüsslich.

Dieser Triumph der Mannschaft trug die Handschrift ihres Trainers, die bis dahin nicht klar erkennbar war und nun umso deutlicher wurde. Kühl bis ans Herz, sachlich und emotionslos, so hatte er die Truppe in diese „WM der Strapazen“ (Löw) geschickt, ein Schutzschild gegen Hitze und Reisestrapazen. Nach dem flotten Auftakt gegen Portugal ist sie durch die folgenden Spiele gerumpelt, im Achtelfinale gegen Algerien drohte sogar das Aus. Prompt hatten echte und selbsternannte Experten wieder Konjunktur. Ein Titel unter Löw? Niemals!

Jetzt steht er im Finale, weil er die Ruhe bewahrt und viele richtigen Entscheidungen getroffen hat. Wie von ihm erwartet, fand das lange verletzungsgeplagte Mittelfeldduo Bastian Schweinsteiger/Sami Khedira über Einsätze zu seiner Form. So konnte Löw seinen Notfallplan mit Philipp Lahm aufgeben und den Kapitän auf die rechte Abwehrseite zurückziehen. Gegen Frankreich zog er in der Innenverteidigung den schnellen Jérôme Boateng dem schwerfälligeren Per Mertesacker vor und hielt gegen jede Kritik am linken Außenverteidiger Benedikt Höwedes vor, der vor den letzten 90 oder 120 WM-Minuten einer von nur drei deutschen Spielern ist, die keine Sekunde Spielzeit verpasst haben.

Vor allem aber verabschiedete sich Löw von seinem Faible für das schnelle Kurzpassspiel, mit dem die Mannschaft 2010 weltweit die Herzen der Fans erobert hatte. Das Risiko in der Defensive minimierte er mit vier kampf- und kopfballstarken Innenverteidigern. Schnelle Außen, ahnte er, würden sich im tropischen Klima Brasiliens nur verschleißen. Mit allem hat er recht behalten, was ihm ein Lob von höchster Stelle einbringt. „Jogi“, sagt Franz Beckenbauer, „hat aus Einzelspielern eine Mannschaft gemacht.“ Die steht nun vor der Krönung. Und mit ihr Löw, der Unbeirrbare.

Hier Kaiser Franz, dort König Jogi? Oder doch nur Bettelmann Löw? Im Finale entscheidet sich die Titel-Frage, nicht nur auf dem Platz. Gewinnt es Löw, ist ihm ein Platz in der Ahnengalerie der deutschen Weltmeistertrainer sicher – von Sepp Herberger (1954) über Helmut Schön (1974) bis Franz Beckenbauer (1990). Verliert er es, zementiert er seinen Ruf als Trainer, der keine Titel gewinnen kann – wie bei den Niederlagen 2008 (EM-Finale gegen Spanien), 2010 (WM-Halbfinale gegen Spanien) und 2012 (EM-Halbfinale gegen Italien). Dann kann er für sich reklamieren, 2014 das faszinierendste WM-Halbfinale der Fußballgeschichte mitinszeniert zu haben, doch am Ende machen nur große Finalsiege auch große Trainer.

Dass Löw ein guter Coach ist, weiß auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der stolz bilanziert: „In den letzten 32 Pflichtspielen hat es 29 Siege gegeben. Was soll ein anderer Trainer noch besser machen?“

Viele halten das für ein rhetorische Frage, weil Niersbach seinen Trainer weniger verehrt, als es seine Lobeshymnen glauben machen. Und weil Löws Vertragsverlängerung bis 2016 womöglich nur ein Placebo war, um drängende Fragen nach seiner Zukunft (wie 2010) im Keim zu ersticken. Zumal Niersbach den Vertrag nur als beiderseitige „Absicht“ wertet, gemeinsam weiterzuarbeiten.

Bleibt Löw also Bundestrainer, oder tritt er auf dem Höhepunkt seines Schaffens zurück? Als Weltmeistertrainer würde er gern weitermachen, hat er in diesen WM-Tagen gesagt, „das wäre schön“. Löw verweist gern auf Vicente del Bosque, der Spanien nach dem WM-Titel 2010 zum EM-Sieg 2012 geführt hat – allerdings 2014 auch ins Verderben. Der Hinweis des scheidenden Co-Trainers Hansi Flick, Löw suche sich seinen neuen Assistenten selbst aus, „weil er ja auch mit ihm arbeiten muss“, deutet auf dessen Bleiben hin, kann aber auch eine falsche Fährte sein: Als künftiger DFB-Sportdirektor unterliegt Flick der Verbandsdisziplin, keine Interna preiszugeben.

Rund um die Frankfurter DFB-Zentrale jedenfalls kursiert immer häufiger der Name Thomas Tuchel (40). Der hat in diesem Sommer überraschend sein Traineramt beim Bundesligisten FSV Mainz aufgegeben und gilt als einer, der Löws Philosophie nahtlos fortsetzen könnte – entweder als Flicks Nachfolger oder gleich auf Löws Chefsessel. Dass der Wunschkandidat Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund aufhört, ist frühestens 2015 realistisch, mit einem denkbaren Übergangstrainer Ottmar Hitzfeld – falls der bisherige Schweizer Nationaltrainer bereit ist, seinen gerade angetretenen Ruhestand zu unterbrechen. Spannende Fragen, so spannend wie das Finale.

Das sprachliche Vermächtnis, passend zu jedem WM-Endspiel, hat übrigens – wer sonst? – Kaiser Franz beim Titelgewinn 1990 hinterlassen. In diesem Sinne: Geht’s raus und spuilt’s Fußball!