Geschichtenwerkstatt: Foto weckt Erinnerungen bei Menschen mit Demenz / Ausstellung im Dorfcafé

Furtwangen/Gütenbach. Zu tollen Ergebnissen führt das Projekt "Geschichtenwerkstatt" in der Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz der Sozialstation Oberes Bregtal in Furtwangen. Die Geschichten sind derzeit im Gü tenbacher Dorfcafé ausgestellt.

Es ist Freitag 11 Uhr. Zehn Menschen mit Demenz unterschiedlicher Stadien sitzen gemütlich im Halbkreis um ein en Flipchart. Jeder hat das gleiche laminierte Foto im A4-Format in den Händen. "Schauen Sie sich das mal an! Was ist denn hier los?" So beginnt jede Geschichtenwerkstatt. Nun wird analysiert, bewertet, erzählt, gelacht, überlegt, formuliert und fabuliert. Alle Äußerungen werden sofort notiert und immer wieder vorgelesen. Ausdrücke des Erstaunens wie "oh", "einmalig", "wunderbar" oder "atención" zählen ebenso wie außergewöhnliche Formulierungen "Es muss dem Herzen gut tun", "Die Stimmungslage ist einwandfrei", oder "Das muss man respektieren und akzeptieren". Alles findet Eingang in die gemeinsame Geschichte. Jeder trägt mit seinen individuellen Fähigkeiten zum Gelingen der Geschichte bei. Das Ergebnis ist ebenso bedeutsam wie der Prozess des Geschichtenerzählens.

Eine Stunde später sind alle fröhlich, zufrieden und vor allem hungrig. Im Anschluss wird das Manuskript in die Form einer Geschichte gebracht. Diese wird beim nächsten Treffen vorgelesen, bestaunt und beklatscht. Seit Februar entstanden 18 Geschichten – jede der fünf Gruppen der Betreuungsgruppe für Menschen mit Demenz hat mindestens einen Text verfasst. Ein Ende ist noch nicht in Sicht, denn allen Beteiligten macht das Projekt viel Freude. Zwischen April und Mai waren die Geschichten mit Unterstützung von Jacqueline Wehrle und Monja Majcug bereits im Schaufenster von Morys Hofbuchhandlung ausgestellt, eingebettet in die Präsentation aktueller Literatur zum Thema Demenz.

Zum Einsatz kommt die Methode "Time Slips TM", die den Teilnehmern der Geschichtenwerkstatt ermöglicht, sich mit ihren individuellen Fähigkeiten in den kreativen Prozess des Erzählens einzubringen. Die Freude, die sie dabei empfinden, die eigenen Gedanken und Gefühle kreativ in Worte zu fassen und präsent im Augenblick zu sein – wenn vielleicht auch nur von kurzer Dauer – ist von unschätzbarer Bedeutung für die Lebensqualität von Menschen mit Demenz. Durch das Teilhaben am gemeinsamen unbeschwerten Erzählprozess wird durch Sprache Beziehung hergestellt, Interaktion ermöglicht und die Konzentration auf ein Ziel fokussiert.

In einer Atmosphäre der fröhlichen Ungezwungenheit und durch die empfundene Freiheit zur Fantasie verschwindet der belastende Druck, sich an Daten und Fakten erinnern zu müssen. Menschen mit Demenz erfahren dadurch Wertschätzung. Ihr Selbstvertrauen steigt, ebenso das Gefühl ihrer Selbstwirksamkeit. Es ist eine neue soziale und bedeutsame Rolle für sie entstanden: die des Geschichtenerzählers. Ein anregendes Foto dient als Impuls zum Fabulieren: Der Prozess des Erzählens und das Ergebnis sind gleichermaßen bedeutsam. Jede Äußerung ist von Wert, alles Gesagte trägt zum Dialog bei. Die Lebenserfahrung fließt wie von selbst in das Erzählen und die gemeinsame Geschichte ein. Es ist nicht nur das Gedächtnis, sondern im Besonderen das Herz angesprochen – mit all seinen Sehnsüchten, Erinnerungen und Gefühlen: "Es muss dem Herzen gut tun", wie ein Teilnehmer es treffend auf den Punkt brachte.

Zurzeit werden die Ge schichten im Gütenbacher Dorfcafé ausgestellt. Die Öffnungszeiten sind mittwochs bis sonntags von 14 bis 18 Uhr. Einen ersten Einblick in das Geschichtenbuch gibt es im Internet unter www.sprachspielwiese.de. Informationen zur Methode Time Slips TM mit Videos und Fotos finden sich im Internt unter www.timeslips.org.