Göppingens Aufsichtsratschef Ulrich Weiß (re., bei einem früheren Termin mit Kärcher-Chef Hartmut Jenner vom TVB Stuttgart) geht selbstkritisch mit der Lage bei Frisch Auf um: „Vielleicht sind wir alle ein bisschen zu weich.“ Foto: Baumann

Die Stimmung? Im Keller. Mannschaft, Trainer, Management? Schwer in der Kritik. Bei Frisch Auf Göppingen läuft es vor dem Final Four um den EHF-Pokal überhaupt nicht rund. Aufsichtsratschef Ulrich Weiß nimmt Stellung zur Krise.

Göppingen – - Die Göppinger EWS-Arena wird an diesem Wochenende zur europäischen Bühne. Das Final Four um den EHF-Pokal steht an. Die Bundesliga-Handballer von Frisch Auf sind Titelverteidiger und spielen am Samstag (15 Uhr/MDR) im Halbfinale gegen Ligarivale SC Magdeburg. „Wir sind sicher nicht der Favorit, doch ich traue Trainer Magnus Andersson und seiner Mannschaft zu, dass sie mit den Fans im Rücken etwas Außergewöhnliches leistet“, sagt Göppingens Aufsichtsrats-Vorsitzender Ulrich Weiß.

Herr Weiß, bei vielen Fans ist die Vorfreude auf das Final Four sehr getrübt. Bei Ihnen auch?
Nein. Ich freue mich auf dieses für den Verein, die Stadt und den Landkreis außergewöhnliche Event. Es ist nach dem Champions-League-Final-Four das zweitbedeutendste Handball-Vereinsturnier in Europa – und Frisch Auf ist dabei. Warum sollte ich mich da nicht drauf freuen?
Weil Ihnen beim Blick auf die Bundesligatabelle möglicherweise der Angstschweiß auf der Stirn steht.
Als Unternehmer habe ich ein dickes Fell und habe im Geschäftsleben wie im Sport Höhen und Tiefen erlebt. Schöne Zeiten und schlechte Zeiten.
Mit Frisch Auf stecken Sie in einer der größten Krisen seit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga im Jahr 2001.
Mein Herz schlägt für Frisch Auf und Frisch Auf Göppingen hat es verdient, dass ich als Göppinger Patriot mein Herzblut in den Verein stecke. Die aktuelle Situation lässt mir natürlich keine Ruhe.
Im schlimmsten Fall droht sogar der Absturz in die zweite Liga. Im freien Fall zieht der Sportsfreund meistens die Reißleine. Sie auch?
Also im Frust den einen oder anderen Kopf zu fordern, ist ein alter Fehler.
Dennoch trägt der Trainer nun mal die Verantwortung für die oft blutleeren Auftritte der Mannschaft und die bisher desaströse Bundesligasaison?
Wir hatten zwei Jahre lang mit dem gleichen Trainer Erfolg. Wir landeten mit Magnus Andersson auf den Plätzen fünf und sechs und haben 2016 den Europacup gewonnen.
Der wie schon 2011 und 2012 auch vieles kaschiert hat.
Also ich habe das schon immer richtig eingeordnet. Aber gar keine Frage: Es zählt das Hier und Jetzt – und aktuell müssten wir mit unserem Etat (Anm. d. Red.: 5,5 Millionen Euro) in der Liga viel besser dastehen als mit 21:39 Punkten auf dem zwölften Platz.
Also droht Andersson der Rauswurf, wenn sich die Misserfolgsserie von Frisch Auf mit sechs Niederlagen hintereinander auch im Final Four fortsetzt?
Manche Medien fordern das ja schon seit vergangenem Herbst.
Vor allem die Fans sind stinksauer, äußern ihren Unmut, fordern Sie zum Handeln auf.
Es wird etwas nicht dadurch besser, dass es immer wieder und oft wiederholt wird. Wir sind froh, dass wir im Herbst 2016 nicht auf diese Stimmen gehört haben und immer noch mit Magnus Andersson zusammenarbeiten. Außerdem liegt unsere aktuelle Misere nicht nur am Trainer.
Sondern?
An allen Beteiligten. Ich habe nach den 12:0 Punkten in der EHF-Cup-Gruppenphase erwartet, dass sich diese starke Bilanz positiv auf die Liga auswirkt. Das passierte nicht.

„Vielleicht sind wir alle ein bisschen zu weich“

Warum?
Da bin ich ein stückweit ratlos.
Liegt es vielleicht daran, dass nach ein paar Erfolgen die Aufbruchstimmung schnell wieder einschläft, man sich zufrieden zurücklehnt und sich alle wieder lieb haben?
Vielleicht sind wir alle ein bisschen zu weich. Grundsätzlich weiß aber auch bei uns jeder Einzelne, dass Stillstand Rückschritt ist. Wir wollen schon weiter nach oben. Aber selbst den Erfolg, den wir viele Jahre lang hatten, zu verstetigen, ist im Spitzensport eine Kunst, die die nur wenige beherrschen.
Braucht nicht die Mannschaft und die Führungsetage mehr Typen, die bedingungsloser nach Erfolgen jagen und Niederlagen auch persönlich nehmen?
Frisch Auf braucht frischen Wind. Wir werden alles hinterfragen. Und da fange ich grundsätzlich bei mir selbst an. Wobei ich damit nicht andeuten will, dass ich amtsmüde bin.
Früher hat Ex-Trainer Velimir Petkovic ständig Druck gemacht, der Frisch Auf antrieb. Jetzt wird immer wieder auch der Name des Handballexperten Rolf Brack ins Spiel gebracht, bei Frisch Auf ein Amt zu übernehmen?
Alle beide haben meiner Ansicht nach viel zu viel Druck gemacht und sind auch darüber gestolpert.
Die Verkrustungen eines Vereins lassen sich nicht auf Knopfdruck lösen. Aber braucht das System Frisch Auf nicht auch sportfachliche Kompetenz im Aufsichtsrat?
Darüber werden wir sprechen.
Kommen wir noch einmal zum Final Four. Was erwarten Sie von der Mannschaft?
Dass sie bei diesem Handballfest ein gutes Bild abgibt und möglichst den Titel verteidigt.
Glauben Sie ernsthaft daran? Ihr Halbfinalgegner SC Magdeburg ist wettbewerbsübergreifend seit 22 Spielen ungeschlagen.
Wenn man die aktuelle Form als Maßstab nimmt und unsere Verletztenliste anschaut, dann sind wir gegen Magdeburg sicher nicht der Favorit. In einem möglichen Endspiel gegen die Füchse Berlin noch viel weniger. Doch ich traue unserem Trainer Magnus Andersson mit seiner Mannschaft zu, dass sie mit den Fans im Rücken in zwei Spielen etwas Außergewöhnliches erreichen.
Das kostet Kraft – mental und körperlich – die im Kampf gegen den Abstieg dann fehlt?
Ich sehe es anders: Wenn wir im Final Four gut aussehen, im Optimalfall sogar den Titel holen, würde uns das Rückenwind für den Endspurt in der Bundesliga verleihen. Die Mannschaft könnte mit neuem Selbstvertrauen in das dann folgende, enorm wichtige und schwierige Derby am 27. Mai in Balingen gehen.
Wie viele Punkte braucht es aus den ausstehenden vier Ligaspielen noch für den Nichtabstieg?
Ein Sieg muss auf jeden Fall noch her. Und möglichst nicht erst am letzten Spieltag am 10. Juni gegen den TVB 1898 Stuttgart. Ich bin optimistisch, dass wir aus der Krise gestärkt hervorgehen. Ich sehe die Krise als Chance an.

Alles Wissenswerte zum Final Four

Spielplan, Rahmenprogramm, Tickets

Halbfinale: Samstag, 15 Uhr: SC Magdeburg – Frisch Auf GöppingenSamstag, 17.45 Uhr: Saint-Raphael Var/Frankreich – Füchse Berlin

Spiel um Platz drei: Sonntag, 14.30 Uhr

Finale: Sonntag, 17 Uhr

An den Spieltagen beginnt das Programm an der EWS-Arena mit der Eröffnung des Fan-Village und der Tageskassen um 11.30 Uhr. Die Halle öffnet am Samstag um 13.30 Uhr, am Sonntag um 13 Uhr. Es gibt noch Sitzplatz- und Stehplatz-Tickets.

Liveübertragungen

Das Halbfinale Magdeburg - Göppingen wird im MDR live gezeigt, das Halbfinale Saint-Raphael gegen Berlin im Stream des RBB. Die Sonntagsspiele sind auf jeden Fall im Stream bei MDR und RBB zu sehen. Kommt der SCM ins Finale, zeigt der MDR dieses Spiel ebenfalls live. Der SWR streamt live, wenn das Finale Göppingen gegen Saint-Raphael lautet.

EHF-Pokal-Sieger weit 2007

2016 Frisch Auf Göppingen

2015 Füchse Berlin

2014 Pick Szeged

2013 Rhein-Neckar Löwen

2012 Frisch Auf Göppingen

2011 Frisch Auf Göppingen

2010 TBV Lemgo

2009 VfL Gummersbach

2008 HSG Nordhorn

2007 SC Magdeburg