Das Landgericht verurteilte den Entführer zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft. Foto: Müssigmann

Entführungsfall: Geständiger Angeklagter zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Freudenstadt/Tübingen - Geldnot war das Motiv im Freudenstädter Entführungsfall. Zu diesem Schluss kam die Strafkammer am Tübinger Landgericht. Das am Montag gesprochene Urteil lautet: sechs Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe.

Glaubt man dem Angeklagten, oder glaubt man ihm nicht? Völlig uneinig waren sich Staatsanwaltschaft und Verteidiger bei der Frage nach dem Motiv der Entführung. Sechs Verhandlungstage hatte das Gericht versucht herauszufinden, warum ein 51-Jähriger Rottenburger am 10. Mai vergangenen Jahres eine 13-jährige Unternehmertochter in Tübingen entführt und die Eltern erpresst hat. "Es war nicht das Ziel, der Familie Geld abzunötigen", sagt der Verteidiger in seinem Plädoyer. "Es ging ihm um Suicide by Cop." Darunter versteht man die Selbsttötung durch den Schuss eines Polizisten. Deshalb sei dies keine Entführung im eigentlichen Sinne. Vorwerfen könne man seinem Mandanten lediglich Freiheitsberaubung, Drohung und Nötigung. Der Verteidiger plädierte deshalb auf eine Strafe von maximal fünf Jahren.

Fristlos gekündigt

Der Staatsanwalt war anderer Ansicht. Er forderte wegen erpresserischen Menschenraubs und schwerer räuberischer Erpressung sechs Jahre und sechs Monate Haft, dieser Forderung folgte letztlich auch das Gericht. Der Staatsanwalt sagte an den Angeklagten gewandt: "Sie haben die skrupellose Tat begangen, um sich Ihrer finanziellen Probleme zu entledigen. Die Aussage, Ihnen sei es nur um den Tod gegangen, ist unglaubhaft." Schadensersatzforderungen von seinem früheren Arbeitgeber, der ihn wegen des Verdachts der Veruntreuung von Geldern fristlos gekündigt hatte, brachten den Angeklagten zusehends in Bedrängnis. Wenige Tage vor der Tat war er aufgefordert worden, die eidesstattliche Versicherung abzugeben.

Der Mann war seither arbeitslos. Bewerbungen führten nicht zum Erfolg. "Ihnen, dem Manager, der den Kopf immer wieder aus der Schlinge ziehen konnte, gelang plötzlich nichts mehr", sagte der Staatsanwalt – eine Anspielung, die er auch weiter ausführt: Mehrfach habe sich der Angeklagte in der Vergangenheit im Umfeld von Kriminalität bewegt. Deutlich werde das etwa daran, dass er in den vergangenen 20 Jahren seine Arbeitsstellen stets wegen arbeits- oder strafrechtlicher Vorwürfe verloren habe. Zur Eintragung einer Vorstrafe im Bundeszentralregister kam es allerdings nie.

Nach der jüngsten Kündigung entwickelte sich eine mittelschwere Depression. Die habe jedoch auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat keine Auswirkung gehabt, wie ein psychiatrischer Gutachter im Prozess feststellte. Der Staatsanwalt betonte, dass der Angeklagte die Entführung "bei vollem Bewusstsein" geplant und durchgeführt habe. Ein minderschwerer Fall sei da nicht zu erkennen. Auch dieser Einschätzung folgte das Gericht.

Der Verteidiger machte im Plädoyer seinem Ärger Luft, dass seinem Mandanten nicht geglaubt würde. "Es kann nicht sein, was nicht sein darf", das scheine die Überschrift für diesen Prozess zu sein. "Nur weil Suicide by Cop in Deutschland nicht so verbreitet und nicht vorstellbar ist, heißt es nicht, dass es nicht als Motiv gegeben war." Die Aussage seines Mandanten sei so schlüssig, dass sie als wahr angesehen werden müsse. Das Motiv der Geldbeschaffung sei weniger nachvollziehbar: Es habe kein Fluchtplan bestanden, außerdem hätte der Angeklagte durch den Verkauf von Immobilien viel einfacher an Geld kommen können.

Entlastende Momente sahen Staatsanwalt und Gericht darin, dass der Angeklagte das Kind während der Tat den Umständen entsprechend gut behandelt hat, dass er die Tat gesteht und glaubhaft bereut. Berücksichtigt würde auch, dass er zum Tatzeitpunkt krank war und dem Kind durch sein Geständnis die Aussage vor Gericht erspart hat.

Der Nebenkläger, der das Opfer vertrat, betonte abschließend: "Das war ein scheußlicher Tag für das Opfer." In der Strafforderung schloss er sich der Forderung der Staatsanwaltschaft an.

Zum Auftakt des letzten Verhandlungstags wurde ein etwa eine Seite umfassender Brief verlesen, den der Angeklagte am ersten Weihnachtsfeiertag an das Opfer geschrieben hat. "Ich will mich von ganzem Herzen dafür entschuldigen, dass ich deine Hilfsbereitschaft ausgenutzt habe", heißt es darin. Er wolle dem Mädchen einen Ausgleich anbieten, auch wenn dadurch nicht aufgewogen werden könne, was sie mit ihm erleben musste. Sinngemäß schreibt er: Ich werde mir Zeit für dich nehmen, du kannst mich entsprechend deines Willens einplanen und ich werde da sein. Doch: Zunächst wird daraus nichts werden. Denn der Angeklagte wird, sofern das Urteil rechtskräftig wird, die nächsten gut sechseinhalb Jahre im Gefängnis sitzen.