Hinter der formellen Rolle des Stadtoberhaupts verbirgt sich bei Julian Osswald ein unkonventioneller Geist. Und der lässt sich auch mit 50 Jahren nicht bremsen. Foto: Eberhardt

Oberbürgermeister wird am Samstag 50. Langeweile soll nicht aufkommen. Selbstzweifel kennt er durchaus.

Freudenstadt - Ein paar graue Haare sind dazugekommen, und die Jahresringe um die Augen sind besser zählbar geworden. Aber sonst? "Ich fühle mich richtig gut", meint Julian Osswald mit 100-Watt-Grinsen.

Am Sasmatg wird Freudenstadts Oberbürgermeister 50. Als er vor fast acht Jahren ins Rathaus einzog, wurden bald Wetten abgeschlossen, wie lange der Neue sein Tempo durchhalten kann. Osswald schien überall zu sein, ein Energiepaket mit scheinbar unerschöpflichem Akku, mit einem 16-Stunden-Tag und einem Terminkalender, der bis Weihnachten voll ist.

Geändert hat sich bis heute wenig, doch er zuckt darüber nur die Schultern. "Ich kann mit dem Wort Stress nichts anfangen. Für mich ist es wichtig, dass sich was bewegt, das etwas vorangeht." Wenn zum Beispiel die Gemeinderatssitzungen gut laufen, wenn man gemeinsam gestaltet, entwickelt und voranbringt. "Das macht dann einfach Spaß." So viel Spaß, dass Osswald auf jeden Fall noch mal acht Jahre als Oberbürgermeister in Freudenstadt dranhängen will – wenn man ihn lässt.

Für das Gespräch im Rathaus hat er einen sauber getippten Lebenslauf vorbereitet. Weil es zu seinen Prinzipien gehört, jede Anfrage, egal welcher Art, mit gleicher Gewissenhaftigkeit zu behandeln, und weil er gerne die Fäden in der Hand behält. Auch wenn es nur um die korrekte Darstellung seiner Vita geht. Aber die interessiert eigentlich nur bedingt.

Denn viel interessanter bei Julian Osswald ist es, das Redeknöpfchen zu drücken und einige seiner größten Stärken auf sich wirken zu lassen: Anderen das Gefühl vollständiger Zuwendung zu geben, sich mit entwaffnender Geradlinigkeit jeder Frage zu stellen, die kommt, und sein Gegenüber zwischendurch herzlich zum Lachen zu bringen. Zum Beispiel, wenn man erfährt, dass es die scharfe Erdkundelehrerin war, die im spätpubertären Oberstufen-Schüler einst ein solches Feuer für Wirtschaftsgeografie und Raumentwicklung entfachte, dass der später seine Karriere darin startete.

Oder dass der Mann, dessen Verstand gelegentlich noch schneller zu arbeiten scheint als sein Mundwerk, in der elften Klasse eine faulheitsverschuldete Ehrenrunde hinlegte. Dass er, dem Vorbild seines Vaters folgend, nach den ersten Berufsjahren für kurze Zeit Ambitionen auf eine Karriere als Professor hegte; nach zwei Jahren und "vier Millionen kopierten Seiten" aber nur bis zum Inhaltsverzeichnis der Dissertation gekommen war – weil er statt zu forschen lieber Projekte auf den Weg brachte.

Oder dass schon der Lehrerin in der ersten Klasse schwante, was später auf die Welt zukommen sollte: Die Leistungen des Julian Osswald seien erfreulich gut. "Aber das Einordnen in die Gruppe fällt ihm schwer." "Dass ich kein einfacher Mensch bin, ist schon so", gibt Osswald unumwunden zu.

Seine Ansichten vertritt er offen, auch wenn es weh tut, und Konflikten stellt er sich – solange sie anständig, ehrlich und gerecht ablaufen. Tun sie das nicht, "kann ich biestig werden".

Spätestens seit jener verhängnisvollen Alkoholfahrt hat sich Osswald Offenheit und Transparenz zum obersten Credo gemacht. Er macht keinen Hehl daraus, dass sich hinter der harten Schale ein Mensch verbirgt, dem Selbstzweifel nicht fremd sind.

Dafür, wie sein Leben gelaufen ist, ist er sehr dankbar. "Ich bin überzeugt, dass da oben jemand auf mich aufpasst." Wenn er von seiner Familie redet – seiner Frau, seinen drei Söhnen oder der Tatsache, dass gerade die ganze Sippe bis zum Schwiegervater mit Geburtstagsvorbereitungen aktiv ist – kann dem kantigen Verwaltungschef schon mal die Stimme rau werden.

Ist er heute ein anderer als früher? Nein – Osswald, der gebürtige Freiburger und Ex-Wahl-Ulmer, findet nicht. Aber er hat dazugelernt; zum Beispiel seine Prozessgeschwindigkeit zu drosseln. Langeweile wäre zwar seine persönliche Hölle, aber dafür hat Freudenstadt gesorgt, dass ihm dieser Zustand nicht unterkommen wird.

Wenn er über seine Stadt, ihre Potenziale und seine Visionen redet, geht das 100-Watt-Grinsen wieder an. Ja, die Jahresringe um die Augen sind inzwischen besser zählbar geworden. Aber mit 50 hat das Energiepaket Osswald in Freudenstadt offensichtlich seinen Platz gefunden.