"Auch mal Fünfe grade sein lassen": OB Julian Osswald. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben ihn nachdenklich gemacht. Foto: Rath Foto: Schwarzwälder-Bote

Interview: Nach überstandenem Herzinfarkt sucht Julian Osswald seine neue Balance / Rathaus-Chef will künftig öfter loslassen

Freudenstadt. Innerlich wie äußerlich aufgeräumt, sechs Kilo schlanker, aber auch nachdenklicher: Freudenstadts Oberbürgermeister Julian Osswald meldet sich nach überstandenem Herzinfarkt zurück in der Kommunalpolitik. Wir sprachen mit ihm über seinen Zustand, das Amt und das Leben. Erkenntnis: Den ärztlichen Prognosen zufolge kann er schon bald wieder ganz der Alte sein. Aber das will er gar nicht.

Herr Osswald, ein gutes neues Jahr noch. Wie geht’s Ihnen?

Es geht mir gut. Ich bin so weit wieder hergestellt, dass ich wieder in den Job einsteigen kann. Die Reha verlief sehr gut, ich habe als netten Nebeneffekt gleich noch sechs Kilo verloren.

Sind Sie als OB schon wieder ganz der Alte?

Der Chefarzt hat mich mit den Worten entlassen: Aus organischen Gründen spricht nichts dagegen, dass ich wieder der Alte werden kann. 100 Prozent fit bin ich noch nicht, aber bislang auf einem guten Weg. Nach allen Prognosen muss ich nicht mit bleibenden Schäden oder Einschränkungen leben. Darüber bin ich sehr glücklich.

Wie ernst war die Lage?

Der behandelnde Kardiologe meinte, dass ich viel Glück hatte, dadurch, dass ich sehr zeitnah im Krankenhaus war.

Hatten Sie eigentlich schon länger Beschwerden?

Nee, überhaupt nicht. Das dachte ich zumindest. Im Nachhinein bewertet man natürlich manches anders. Es gab durchaus Anzeichen, die ich aber falsch gedeutet oder ihnen einfach keine größere Bedeutung beigemessen habe. Zeitweise ist mir immer mal wieder der linke Arm eingeschlafen. Das Wochenende vor dem Infarkt war ich beispielsweise mit meiner Frau im Elsass. Nach einer etwas strammeren Wanderung hatte ich Schmerzen im Arm und in der Schulter, die aber von alleine wieder verschwunden sind. Da habe ich mich auch nicht weiter drum gekümmert. Nach Auskunft der Ärzte waren das aber sehr wohl Vorzeichen.

Wann haben Sie gemerkt: Mensch, das ist jetzt mehr als nur ein Unwohlsein?

Das war in der Nacht um 11. November. Da bin ich morgens um 3 Uhr aufgewacht und hatte Schmerzen, als hätte mir jemand ein Messer in die Schulter gerammt. Ich habe eine Schmerztablette genommen, die hat aber nicht gewirkt. Das hat dann ausgestrahlt auf den ganzen Arm. Ich dachte, ich hätte mir einen Nerv eingeklemmt. Als es bis 4.30 Uhr nicht besser wurde, hat mich meine Frau dann ins Krankenhaus gefahren. Gottseidank. Klassische Anzeichen, etwa kalter Schweiß, hatte ich nicht. Heute weiß ich, ein Infarkt äußert sich bei jedem anders. Mein dringender Appell an alle: Im Zweifel lieber ab ins Krankenhaus und Beschwerden abklären lassen. Beim Infarkt zählt jede Minute.

Was haben Sie seither geändert in Ihrem Leben?

Man kommt schon ins Grübeln. Ich habe mich beispielsweise gefragt, wie viel Zeit ich in den vergangenen neun Jahren als OB eigentlich für mich und meine Familie genommen habe. Die Bilanz fiel nicht so toll aus, ehrlich gesagt. Wenn mit 51 Jahren Schluss gewesen wäre, hätte ich das nicht so gut gefunden. Mein Amtskollege im Memmingen ist vor ein paar Wochen im Alter von 47 Jahren tot beim Joggen im Wald zusammengebrochen. Da denkt man sich schon: Man sollte das Leben ausgeglichener gestalten.

Kann man das als Oberbürgermeister überhaupt?

Das wird sich herausstellen. Aber ich muss. Eine 70-Stunden-Woche wie bislang ist auf Dauer nicht machbar. Dabei macht mir mein Job ja Spaß. Ich setze mich gerne auf überörtlicher Ebene für Freudenstadt ein und freue mich, wenn ich was rausholen kann für die Stadt. Es ist auch toll, die Stadt mit voranbringen zu können. Dennoch muss ich kritisch prüfen und sehr genau abwägen, welche zusätzlichen Ämter zwingend notwendig sind, für mich und für die Stadt. Ich war in neun Jahren vielleicht 20 Mal zu Hause zum Mittagessen. Das mache ich jetzt jeden Tag. Das muss ich fest in meinen Tagesablauf einplanen, eine fixe Pause von 13 bis 14.30 Uhr, genauso wie mehr Bewegung jeden Tag.

Dann müssen Sie Ihren Arbeitsstil überdenken.

Ja. Ich lerne, auch mal Fünfe grade sein zu lassen. Es gibt so viele Kleinigkeiten im Arbeitsalltag, die in der Summe viel Zeit fressen. Ich schaue jetzt mal, ob es auch funktioniert, wenn man die weglässt. Jemand hat mal gesagt, ich sei der größte Obersachbearbeiter. Ganz unrecht hatte er nicht. Ich muss öfter mal loslassen und mich wieder auf das konzentrieren, was ein OB tun sollte: sich Gedanken über Strategie und Zukunft machen, weniger Tagesgeschäft. Wir haben schließlich eine gute und motivierte Mannschaft mit rund 300 Mitarbeitern im Haus. Die wollen ja auch was tun.

Im Augenblick arbeiten Sie wieder sechs Stunden am Tag. Halten Sie sich dran?

Ja. Allerdings muss ich sagen, dass es im Augenblick auch keine Abendtermine gibt. Wenn die wieder kommen, wird es spannend. Da habe ich im Augenblick noch keine Lösung. Ich muss runter auf ein vernünftiges Maß, weg von 14-Stunden-Arbeitstagen.

Wann wollen Sie wieder voll da sein?

Nächste Woche.

Ist im Rathaus viel liegen geblieben in der Zeit?

Nein, alle Projekte sind auf dem Laufenden. Die Kollegen hier im Rathaus machen wirklich einen tollen Job, allen voran Bürgermeisterin Stephanie Hentschel. Über sie ist plötzlich viel hereingebrochen. Hat sie aber prima hingekriegt. Aber auch die ganze Mannschaft hat richtig was weggeschafft.

Was hat Sie beschäftigt in der Zeit des Krankenhaus-Aufenthalts und der Reha-Phase?

Am Anfang steht die bange Frage: Bleibt was zurück? Als hier Entwarnung der Ärzte kam, beschäftigt man sich mit der Frage, wie man Herz und Kreislauf wieder auf 100 Prozent bekommt. Im dritten Teil der Reha geht es um einen ausgewogenen Lebensstil mit Stressbewältigung, Zeitmanagement, Ernährung und Bewegung. Eigentlich weiß das jeder. Trotzdem dachte ich bislang, ich hätte keine Zeit für Bewegung. Wie dämlich. Dabei ist es statistisch bewiesen, dass sich die Lebenserwartung dadurch um 40 Prozent erhöhen lässt. Maß und Mitte, darum geht’s. Man muss mehr an sich selbst denken.

Haben Sie gedacht: Warum ich? Und warum ausgerechnet jetzt?

Nein, überhaupt nicht. In der Reha habe ich Menschen kennengelernt, deren Herzleistung jetzt noch 30 Prozent beträgt. Die haben auch psychisch viel mehr zu verarbeiten als ich. Aber der Irrglaube bei mir ist weg, ich sei unverwundbar.

Mit welchen Vorsätzen geht man in einer solchen Situation ins neue Jahr?

Eine gute Balance zu finden zwischen den eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen sowie dem, was von Außen an Erwartungen an einen herangetragen wird. In der Freudenstädter Kommunalpolitik wird es uns aber ganz sicher nicht langweilig. Da ist derzeit viel am Laufen.

Worüber wollen Sie sich künftig nicht mehr aufregen?

Oh, schwierig. Ich bin nun mal ein sehr emotionaler Mensch und habe bislang die Auffassung vertreten, Ärger lieber rauszulassen, anstatt ein Magengeschwür zu kriegen. Das wird sicher auch künftig so sein. Aber ich habe mir vorgenommen, manche Dinge gelassener zu sehen.

Gesundheit ist...

...die Voraussetzung für alles andere.

 Die Fragen stellte Volker Rath