Um einen jungen Mann, der reich werden will, koste es, was es wolle, ging es in dem Stück "Du (Normen)". Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

Theater: Harsche Kritik am Kapitalismus / Lehrstück für Schulklassen findet nur geringe Resonanz

Nur ein paar Dutzend Besucher wollten im Kurtheater das Schauspiel "Du (Normen)" in einer Inszenierung der Badischen Landesbühne unter der Regie von Judith Kriebel erleben. Alle anderen verpassten ein Lehrstück.

Freudenstadt. Es ging um das widerwärtige Gesicht des Kapitalismus, der die Moral den unerbittlichen Gesetzen der Ökonomie opfert. Was auf der Bühne zunächst geschah, wirkte wie die fast übliche Geschichte eines Pubertierenden. Im weiteren Verlauf jedoch entwickelte sich das Charakterbild eines Menschen, der buchstäblich über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen.

Normen wächst in einer Kleinstadt auf. Seine Jugendjahre sind geprägt von den gewohnten zwiespältigen Gefühlen und Erfahrungen mit den Eltern und der sozialen Umgebung. Früh eignet sich Normen Strategien an, die ihm Vorteile verschaffen – wenn nötig, auch mit Druck. Das Studentenleben bietet Zerstreuung in der Wohngemeinschaft. Es ist eine Art Reminiszenz an jene Zeit, die dem Schlachtruf folgte: "Wer zwei Mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment".

Aber da ist ja noch das Problem des schmalen Geldbeutels. Der Vater lehnt die Finanzierung ab und so erliegt Normen den Verlockungen des schnellen Euros: Er wird Proband und testet Pharmazeutika. Dabei lernt er eine neue Lektion: Mit dem Vermitteln von "Versuchskaninchen" lässt sich noch viel mehr Kohle machen. Dass dabei sein Freund Benni fast draufgeht und mit einer schweren Behinderung weiterleben muss, ist für Normen nicht viel mehr als ein bedauerlicher Betriebsunfall. Ein vorwurfsvoll gestammeltes "Du" an die Adresse Normens ist alles, was der Freund noch kommunizieren kann.

Selbst Tod der Tochter soll dem Image dienen

So wie Normens Bankkonto wächst, nehmen seine Wertvorstellungen ab. Vergewaltigung und Nötigung zählen für ihn zum Alltag eines Erfolgsmenschen. Skrupellose Geschäfte mit der Dritten Welt, Spekulationen mit Lebensmitteln, dubiose finanzielle Transaktionen: Mit 24 ist Normen Großunternehmer und Millionär. Als seine kleine Tochter entführt wird, verweigert er die Lösegeldzahlung. Selbst ihrem Tod sucht er noch Vorteile für sein Image abzugewinnen.

Der reichlich sperrige Titel des Stücks erklärt sich dadurch, dass "Du (Normen)" Teil einer "Duologie" ist. Diese Duplizität besagt, dass daneben "Du (Norma)" existiert – ein Schauspiel, das im vergangenen Herbst Premiere in Mannheim hatte. Dem "Du" kommt ferner eine dramaturgische Funktion zu. Cornelius Danneberg erzählt als Mitglied des siebenköpfigen Ensembles die Geschichte des Normen in der Rolle eines Filmregisseurs, der Spielanweisungen erteilt. Eingeschlossen ist offenbar auch die Absicht, dem Zuschauer durch die direkte Anrede einen Spiegel vorzuhalten.

Philipp Löhle sagte selbst über sein Stück: "Wir züchten lauter kleine Normens heran." Der studierte Theatermann setzt sich intensiv mit den Themen Kapitalismus und Umweltzerstörung auseinander. Die Badische Landesbühne steht für höchst engagiertes Spiel unter Einsatz aller Kräfte und allen darstellerischen Vermögens. Ihre Inszenierungen sind häufig unbequem und mitunter verstörend. Den Beleg dafür tritt auch "Du (Normen)" an. Requisiten (Ines Unser) sind lediglich dafür da, dramaturgisch zu unterstützen, und wurden entsprechend sparsam eingesetzt. Thilo Schwarz‘ Beleuchtung setzte das Geschehen auf der Bühne ins richtige Licht. Hennes Holz, musikalisches Urgestein bei der Badischen Landesbühne, untermalte die Inszenierung live an der Gitarre und als Arrangeur von Melodieneinspielungen.

Andreas Schulz‘ Spiel als Normen war energiegeladen bis in die Haarspitzen. Um ihn herum gruppierte sich ein souverän agierendes Ensemble mit Cornelius Danneberg, Katharina Heißenhuber, Martin Behlert, Maximilian Wex, Jessica Schultheis und Kathrin Berg – überwiegend in verschiedenen Rollen. Bleibt festzuhalten: "Du (Normen)" als Anschauungsunterricht für Schulklassen? Unbedingt – in Freudenstadt allerdings wurde die Chance aufgrund Desinteresses der Zielgruppe vertan.