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Das Buch "Jugend auf dem Land" schildert Erfahrungen mit Heimatliebe und Ausbruch aus dörflicher Enge

Von Gerhard Keck

u  Jung sein in der Provinz – Landlust und Landfrust: Davon erzählen die zwölf besten Texte, die aus mehr als 100 Beiträgen von baden-württembergischen Autorinnen und Autoren für einen Literaturwettbewerb der Akademie Ländlicher Raum für eine Anthologie ausgesucht worden sind. Darunter befinden sich die drei Erstplatzierten, die mit einem Geldpreis gekrönt worden sind.

"Blaskapelle und Disco, Fußballverein und Facebook… – nie waren die Lebenswelten von Jugendlichen auf dem Land vielfältiger und kontrastreicher", formuliert Minister Alexander Bonde in einem Geleitwort. Der mit zahlreichen Farbfotos ausgestattete Band, darunter ein Ausschnitt des Freudenstädter Marktplatzes, vereint neue Geschichten und Gedichte. Sie unterscheiden sich deutlich in Thematik und Schreibweise, zeigen sich sowohl literarisch ambitioniert als auch in mehr sachlich orientierter Beschreibung. Aber immer geht es darum, die Befindlichkeiten Jugendlicher zwischen Heimatliebe und Ausbruch aus dörflicher Enge auszuloten. Mitunter entfalten sie auch Widersprüchlichkeiten in Erwartungen, so in Eberhard Rapps "Perspektiven" aus seinem bezeichnenden Beitrag "Sieben Schwaben": "En Liedergranz? / Noi, des isch niggs ! / En Posaunachor? / Om Goddes willa…/ En Turnverei? / Älles, bloß des ned / Ja, was willsch na macha? / I woiß ned."

Integrativ gibt sich die Iranerin Mehrnousch Zaeri-Esfahani mit ihrer Liebeserklärung an den Schwarzwald unter dem Titel "Wenn ich einen Wunsch frei hätte…" Darin erzählt der indische Jugendliche Arjun Singh im Tagebuchstil seine Odyssee, die in einer kleinen Nordschwarzwald-Gemeinde bei deutschen Eltern ihren vorläufigen Abschluss findet. Sein erster Eindruck ist überwältigend: "Ich bin im Paradies." Drei Jahre verbringt er "unter dem Schutz des deutschen Staates", bis er mit Erreichen der Volljährigkeit wieder nach Indien zurückkehren muss. Was er nach Hause mitnimmt, sind vielfältige positive Eindrücke von freundlichen, zugewandten Menschen in der Familie, im Dorf, in der Schule und in einer Bäckerlehre. Die Natur offenbart ihm "Wunder, so wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte".

Hanna Münchs preisgekröntes "Tagebuch einer Außerirdischen" thematisiert den Kulturschock einer Jugendlichen, die aus der Großstadt nach "Hintertupfingen" umziehen muss. Ihr einziger Trost zunächst: Wenn sie 18 geworden ist, "wird man mich hier nur noch von hinten sehen".

Aber wie der stete Tropfen den Stein höhlt, weicht das unaufgeregte Landleben ihre Trotzhaltung allmählich auf. Bei der Kartoffelernte wechselt die Städterin unerwartet ihre eingeübte Supermarkt-Perspektive: "Es macht Sinn, die Erde zu ertasten, diese Luft zu atmen, den Windhauch zu spüren, dem Himmel nah zu sein."

Thomas Hoeths Text "Jana Doppelkopf" geht auf eine wahre Begebenheit zurück. Er erzählt von "Sarah mit dem Sozialtick", die sich, gelangweilt vom bevorstehenden Wochenende in der kleinen Stadt, von einem "Penner" die anrührende Geschichte von einem doppelköpfigen Schwein erzählen lässt und dabei eine neue Haltung gegenüber dem "Säufer und Dummschwätzer" gewinnt. Lesenswert ist das Buch, weil es sehr unterhaltsam differenzierte Sichtweisen eröffnet.

Das Buch: "Jugend auf dem Land. Neue Geschichten und Gedichte aus Baden-Württemberg", herausgegeben von der Akademie Ländlicher Raum Baden-Württemberg, Silberburg-Verlag Tübingen 2013. 135 Seiten mit festem Einband, 14,90 Euro.