Bayerisches Lederhosen und Schwarzwälder Brennrechte: Peter Schnittger im Keller des Abrahamhofs. Fotos: Meinert/Privat Foto: Meinert/privat

Ein Münchner brennt auf dem Abrahamshof seinen Fichtenspitzen-Gin. Barkeeper schwärmt vom Aroma.

Baiersbronn - Der Mann hat Mut, kein Zweifel. Erst vor ein paar Monate seinen ersten Gin gebrannt, gerade mal die ersten 120 Flaschen verkauft – und schon hält Peter Schnittger sein erstes Gin-Seminar. Ganz schön fix, möchte man sagen. Eigentlich habe er ja mit Gin nie etwas am Hut gehabt, auch mit dem Schnapsbrennen habe er erst vor ein paar Jahren angefangen, erzählt Schnittger. Und überhaupt: Er komme nicht einmal vom Land, sei Großstädter, "aufgewachsen zwischen Hochhäusern". Doch das war gestern, jetzt lebt der 49-jährige Schnittger auf dem Abrahams-Hof in Baiersbronn.

Ein Idyll: Alter Hof mit Streuobstwiese. Natürlich alles Bio.

Es ist ein wunderschöner, großer alter Hof mit Streuobstwiese, 85 Apfelbäumen, freilaufenden Hühnern, Schafen. Plus vier Kinder. Ein Idyll. "Natürlich alles bio", schwört der Hausherr. Gleich neben dem großzügigen Bauernhaus, dass Schnittger und seine Frau Marion seit Jahren mühevoll und akribisch renovieren, steht das, was der geborene Münchner etwas vollmundig sein "Refugium" nennt: ein umgebauter Bauwagen, in dem jetzt der Bayer in Lederhosen und weiß-rot-karierten Hemd vor etwa einem Dutzenden Zuhörern steht und über Gin doziert.

Es ist das erste Gin-Seminar, eine Art Testlauf also. Die Gäste sind allesamt geladen, darunter Vips aus Baiersbronn, Bürgermeister Michael Ruf oder etwa Gabriel Simonsen (54), der Barkeeper aus der "Tanne". Dicht gedrängt sitzen sie im "Refugium", vor ihnen auf dem Tisch sind zwei Dutzend Reagenzgläser aufgebaut, gefüllt mit selbstgemachten Aromastoffen. Die wildesten Sachen gibt es da, von Wildthymian bis Lavendel, von Rosenblüte bis zu Chili und Muskat. Später, sozusagen als Höhepunkt des Abends, dürfen die Gäste Tröpfchen für Tröpfchen dem Gin ein paar Aromastoffe zusetzen. "Sie können ihren eigenen Gin machen", nennt das Schnittger. Reden kann der gebürtige Münchner – über die Geschichte des Gins spricht er an diesem Abend: "1727 tranken etwa sechs Millionen Engländer fünf Millionen Gallonen Gin im Jahr." Er spricht darüber, dass der Gin aus Wachholderbeeren bestehen und mindestens 37,5 Prozent Alkohol haben muss. Auch über das Geheimnis des Brennens lässt er sich wortreich und mit angenehm guttural-bayerischer Stimme aus. Er erzählt über den "Hype mit dem Gin", der in Deutschland nun schon seit Jahren grassiere, dass "viele Leute Gin trinken, aber eigentlich gar nicht wissen, was sie da in sich hineinschütten". Das soll sich jetzt ändern.

Unterdessen köchelt und brennt der Gin in einer kleinen Destille im "Refugium" vor sich hin, Redner Schnittger prüft nebenbei immer mal wieder die Temperatur. Dann geht es weiter mit der Gin-Weisheit: Nein, sein Wacholder stamme nicht aus dem Schwarzwald."Erstens gibt es im Schwarzwald viel zu wenig und zweitens stimmt die Qualität nicht." Er beziehe seinen Wacholder vom einem Händler aus Österreich. Woher die Beere komme, wisse er selbst nicht. "Vielleicht aus Albanien oder so."

"Hundertprozent Baiersbronn" seien dagegen die Fichtenspitzen, die er seinem Gin zusetze. Fichtenspitzen machten den Unterschied aus, machen seinem Gin zum unverwechselbaren, heimischen Produkt. Auch Simonsen, der Barkeeper aus der "Tanne", schwärmt von den Fichtenspitzen, die so mühsam zu sammeln seien, "aber wunderbar nach Schwarzwald riechen und schmecken".

Ein Wink des Schicksals – oder war’s doch Tochter Charlotte?

Der Weg von München nach Baiersbronn war weit, Gin und Brennerei dem jungen Schnittger wahrlich nicht in die Wiege gelegt. Angefangen hatte er mit einer Lehre als Flugmechaniker, später kam Informatik hinzu. Jahrelang habe er gute Jobs gehabt, dann sich selbstständig gemacht als Berater und Auditor in der Lebensmittelbranche. "Die Wende kam dann eigentlich durch unsere Tochter Charlotte. Die hatte nämlich eine Allergie gegen gespritztes Obst." Also pachtetet das Elternpaar kurzentschlossen eine Obstwiese. Als nächster Schritt bot sich das Keltern geradezu an, angesagt waren Apfelsaft und Apfelwein. "Dann wollte Charlotte ein Pferd, irgendwie wurde es immer ländlicher", berichtet der Mann in der Lederhose weiter. 2011 seien sie dann auf den Abrahamshof gestoßen, auch hier wuchsen wunderschöne alte Obstbäume. Und wieder ein Glücksfall, ein Wink des Schicksals: "Der Hof hatte eine Destille – und es waren Brennrechte damit verbunden."

Der erste Schritt für Schnittger war die Verwertung zu Apfelessig, mittlerweile ein Renner. "Baiersbronner Schätze" heißt das Produkt, das in hohen schlanken Flaschen abgefüllt wird, in denen man ansonsten eher exklusive Obstbrände kauft. Doch Essig genügte Schnittger nicht, er wollte es noch einmal richtig wissen. Absolvierte in Offenburg eine zweijährige Ausbildung in Sachen Brennerei, bis er dann in diesem Jahr den ersten eigenen Gin brannte. "120 Flaschen sind schon verkauft, um die 100 Liter sind es insgesamt", sagt er und strahlt vor Stolz und Optimismus.

Die ersten 100 Liter sind bislang destilliert – zum Leben reichts noch nicht

Unterdessen nähert sich der Abend im "Refugium" dem Höhepunkt. Das Brennen ist beendet. Die Gäste bekommen je eine Pipette in die Hand und dürfen die Reagenzgläser öffnen. Wie gesagt: Wildthymian, Muskat und Chili. "Vorsicht, nur Milliliter zugeben", mahnt Schnittger. Die Gäste sind emsig bei der Sache, es gibt gewagte Kombinationen – und beim anschließenden Kosten manche Überraschung. "Gin", sagt Schnittger, "war für mich ein Glückstreffer. Weil er gut ist - und weil es hier Menschen gibt, die den Gin verstehen."

35 Euro kostet die Halbliterflasche, die Teilnahme an den geplanten Gin-Seminaren soll 49 Euro kosten. Rund drei Stunden sollen die Abende dauern. Um den Gingeschmack zu neutralisieren, werden kleine Häppchen gereicht. Allerdings: Bauernhof und Gin sind nicht Schnittgers einzige Betätigungsfelder. "Ganz nebenbei" arbeitet er vier Tage pro Woche als Berater und Auditor. "Vom Gin und der Brennerei allein könnten wir nicht leben."