Schien sich in Freudenstadt wohlzufühlen, auch wenn sein eigentliches Thema wenig behaglich war: Der Journalist Hans-Ulrich Jörges. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Journalist Hans-Ulrich Jörges referiert über die neue Herrschaft der Medien / Verquickungen sind Problem

Von Tina Eberhardt

Freudenstadt. Einiges ist aufs falsche Gleis geraten. So die Bilanz von Journalist Hans-Ulrich Jörges über die Arbeitsphilosophie der Medien. Aber wie damit umgehen? Am Ende eines langen Vortrags gab es immerhin eine Antwort: einfach wieder selbst zu denken anfangen. "Wenn das Rudel jagt: Die neue Herrschaft der Medien" lautete der Titel des Vortrags, den der international renommierte Journalist beim Neujahrsempfang von Landkreis und Kreissparkasse hielt.

Neu war zwar manches nicht, was Jörges präsentierte – doch er verstand es, anhand von Beispielen und strategisch zwischengestreuten Blicken hinter die Medienkulisse, Prozesse und Entwicklungen bildhaft und lebendig werden zu lassen.

Elementare Grundsätze werden von den Großen vernachlässigt

Dass die Medienwelt zunehmend unbarmherziger, schneller und aggressiver wird, mochte dem aufmerksamen Nachrichtenkonsumenten im Publikum zwar schon zuvor aufgefallen sein. Es aus dem Munde eines profunden Kenners der Branche zu hören, schien für manchen aber noch eine andere Faszination zu entwickeln.

Doch wer ist das Rudel und warum verursachen Medien immer häufiger selbst Negativschlagzeilen in den Köpfen der Empfänger? Die großen überregionalen Leitmedien sind es nach Jörges Ansicht vor allem, die in einem immer stärkeren Teufelskreis aus Konformitätszwang, wirtschaftlichem Druck und Echtzeit-Kommunikationsanspruch elementare Grundsätze wie Recherchepflicht, Neutralität und Hintergrundbetrachtung vernachlässigen. Natürlich, so Jörges umgehend, gibt es in Deutschland und auf der Welt noch immer viele Vertreter der journalistischen Zunft, die sich den ehrenvollen Grundsätzen verpflichtet fühlen.

Das Problem liegt nach Jörgens Einschätzungen vielmehr oben an der Spitze des Kosmos. Dort wo sich in immer undurchsichtigeren Führungskonglomeraten Verquickungen zwischen bislang seriösen Nachrichtenmedien und brandstiftenden Boulevardblättern bilden. Statt Meinungsvielfalt Meinungseinheit. Oder: "Ideologieverlust", wie das Mitglied der Stern-Chefredaktion bilanzierte. Die Beispiele, die er für die Erläuterung seiner Thesen nutzte, waren an sich wenig neu, machten im Kontext aber durchaus nochmals nachdenklich. Zum Beispiel die Hatz auf Ex-Bundespräsident Christian Wulff, die Vergleiche zu Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" aufkommen ließ. Oder die mediale Mobilmachung in der Ukraine-Krise, wo man Russland den alleinigen Posten des Bösewichts überließ oder die Positionierung der Türkei als tapferes Bollwerk gegen den Islamischen Staat, wobei ehemals starke und kritische Verbindungen zwischen den beiden unter den Tisch fielen.

"Wutwellen funktionieren, wenn sie konsumiert werden"

"Dass wir nach beiden Seiten zu schauen haben, haben sich die Medien abgewöhnt", kritisierte Jörges. Die branchenweiten "Je suis Charlie"-Bekundungen, die auf die Anschläge von Paris folgten, bezeichnete er gar als "vermessenes Urteil". Was jene kleine Gruppe an Mut gezeigt habe, fehle eben den großen Medien. Taktisch klug bewahrte sich Jörges bei der Branchenschelte die Authentizität, indem er stets in der Wir-Form sprach. Und schließlich scheute er sich nicht, den oft mit eifrigem Kopfnicken auf das harte Gericht reagierenden Gästen auch selbst den Spiegel vorzuhalten. Denn billig erzeugte Wutwellen funktionieren nur, wenn sie auch konsumiert werden.

Zu blenden ist nur der Bürger, der sich auch blenden lässt, meint der Branchenkenner. Wenn von den Medien erwartet werde, Ereignisse binnen Minuten aufzugreifen und in wahnwitziger Tempofolge durch kostenlose Online-Kanäle zu jagen, dürfe man nicht auf Kapazitäten für eine reflektierte Aufarbeitung hoffen.

Wer sich Meinungsbildung nur noch in Kurznachrichten-Fertigportionen zum Nulltarif auf das Smartphone liefern lasse, werde eben auch zu einem Teil des Rudels, das man zuvor vielleicht wenig schmeichelhaft attribuiert hat.

Jörgens abschließende Antwort auf die Frage "Was ist denn nun tun?" war folglich auch deutlich unbequemer zu konsumieren als der Kübel Schelte für die Medienlandschaft zuvor: "Schalten Sie gelegentlich einfach mal aus", empfahl er den Gästen des Neujahrsempfangs. Und: "Denken Sie wieder selbst, statt denken zu lassen."