Das Erdbeben verwüstete vor fünf Jahren die gesamte Region L’Aquila. Foto: ANSA

Fünf Jahre nach der Erdbebenkatastrophe in den Abruzzen wirkt L’Aquila wie eine Gespensterstadt – die Verwaltung lässt Stadt verwahrlosen

L’Aquila - Nur Carlo begleitet den Besucher. Carlo kennt sich aus in den menschenleeren, fast gespenstisch wirkenden Gassen. Niemand weist einem den Weg. „Das ist zwar ein wilder Hund, aber er ist sehr zutraulich und ein Kenner unseres Pompeji hier“, erklärt Umberto von der Bar an der Piazza Battaglione degli Alpini, die am Hauptzugang zum historischen Stadtzentrum liegt.  

Für Umberto und viele andere ist die Stadt L’Aquila „ein Ort der erschreckenden Stille, der an ein vergangenes Drama erinnert“. Wie Pompeji, das einst nach dem Ausbruch des Vesuv unterging. „Aber eben ein Pompeji des 21. Jahrhunderts“, sagt Umberto.  Eine Gespensterstadt.

Am 6. April 2009 um 3.32 Uhr bebte in L’Aquila und in der Umgebung die Erde. Die Region Abruzzen wurden von einem verheerenden Erdbeben mit einer Stärke von 5,9 auf der Richterskala erschüttert.   Wohnhäuser und Fabriken, historische Kirchen und Paläste stürzten ein.

Mehr als 300 Einwohner fielen dem Beben zum Opfer

L’Aquila war besonders betroffen. Über 300 Einwohner starben. Rund 75 000 Gebäude in 53 Städten und Ortschaften gelten seitdem als einsturzgefährdet. Zehntausende Menschen wurden obdachlos. In der Stadt hat sich freilich wenig getan. In den fünf Jahren nach dem Erdbeben hätten die Politiker das Blaue vom Himmel versprochen und nichts, gar nichts gehalten, klagt ein Bewohner.  

„Hier könnte man vieles wieder aufbauen!“, ärgert sich der prominente Kunsthistoriker und ehemalige Vizekulturminister Vittorio Sgarbi. Seit fünf Jahren setzt er sich dafür ein, dass der zerstörte Innenstadtkern wieder restauriert wird. Es gab Pläne für eine aufwendige Restaurierung, die nur wenige Wochen nach der Katastrophe vom damaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vollmundig beschlossen wurden. Zumindest auf dem Papier.   Die Regierung Berlusconi stellte mit einem Regierungsdekret fast 15 Milliarden Euro für das Gebiet in Aussicht.

Wohin die Milliarden für den Wiederaufbau geflossen sind, ist allerdings unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.   Die Rede ist von mafiösen Unternehmen aus Süditalien, die mit Hilfe korrupter Politiker und Beamter in den Genuss zahlreicher Bauaufträge gekommen sein sollen. Bauaufträge, die aber in vielen Fällen nie realisiert wurden.   Ein Teil des Geldes floss in 600 Notunterkünften für etwa 14 000 Obdachlose. Sie waren nach nur wenigen Monaten bezugsfertig.

Das historische Zentrum verwahrlost

In diesen Gebäuden ließ sich Berlusconi mit Erdbebenopfern, die ihm mit Tränen in den Augen dankten, ablichten. Gelder für den Wiederaufbau L’Aquilas versprachen auch die USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und andere reiche Industriestaaten. Berlusconi hatte sie im Jahr des Bebens zum Gipfel nach L’Aquila eingeladen. Doch nicht alle Teilnehmer hielten ihre Zusagen ein. Deutschland allerdings verhielt sich korrekt und stellte hohe Geldmittel zur Verfügung – vor allem für den Stadtteil Onna, weil die Wehrmacht dort im Zweiten Weltkrieg 16 unschuldige Bürger tötete.

Doch von einem umfassenden Wiederaufbau ist nichts zu sehen. Im historischen Zentrum stützen immer noch behelfsmäßig aufgestellte Holz- und Stahlträger notdürftig Fassaden und das Mauerwerk vieler historischer Gebäude.

Die Kirche San Domenico mit ihren prächtigen Eingangsportalen ist noch heute akut einsturzgefährdet. Das hält Hund Carlo aber nicht davon ab, durch ein Loch in der Wand ins Innere zu laufen. Der Blick durch einen Riss im Mauerwerk bietet ein Bild der Verwahrlosung: Ruinen, in denen Büsche und Bäume wachsen. „Die Natur erobert sich die Stadt zurück“, meint der Mailänder Kunsthistoriker Philippe Daverio nach seinem jüngsten Besuch in L’Aquila. „So wie das antike Pompeji vor sich hingammelt, weil der Staat sich nicht um die grandiosen Ruinen kümmert, so verkommen auch die Ruinen dieses modernen Pompeji“, klagt der Wissenschaftler.  

Seine Kollegen aus L’Aquila fordern, die gesamte Innenstadt, die unbewohnt ist, zur Besichtigungszone zu erklären. Marco Mannisi von der kunsthistorischen Fakultät in L’Aquila erklärt den Nutzen: „Wie in der antiken Ruinenstadt bei Neapel könnte man mit dieser eindrucksvollen Kulisse einer einstmals lebendigen Stadt wenigstens etwas Geld verdienen.“