Hinter Kasernentoren: Die Empfingen Aufnahmestelle für Aussiedler wurde zunächst vom Bund betrieben, ab 2000 vom Land Baden-Württemberg. Foto: Hopp

Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Meßstetten: Politik verweist auf gute Erfahrungen in Empfingen.

Empfingen - In der Meßstetter Kaserne (Zollernalbkreis) wird eine Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge geschaffen. Die Bevölkerung ist verunsichert, die Politik beschwichtigt – und verweist dabei auf die guten Erfahrungen in Empfingen. Erinnerungen an den keineswegs positiven Start der Zentralen Aufnahmestelle für Aussiedler in Empfingen vor 25 Jahren.

Der Schock

Karl Gaus (77), ehemals stellvertretender Bürgermeister: Wir wurden damals absolut überrascht: In den Abendnachrichten am 6. April 1989 hat der Innenminister Dietmar Schlee verkündet, dass die Kaserne zur Bundesaufnahmestelle für 2000 Aussiedler umgenutzt werden soll. Da war ein Riesen-Aufruhr im Ort! Niemand wusste von diesen Plänen. Ich war damals Gemeinderat und stellvertretender Bürgermeister und habe abends, als ich von der Arbeit kam, in Empfingen getankt. Da sagte mir die Frau an der Tankstelle: "Was seid ihr für Gemeinderäte, das müsst ihr doch gewusst haben!" Ich hatte noch gar keine Ahnung, wovon sie redet. Die Leute hatten Angst: Was wird nur aus unserem Empfingen? Wir hatten selber nur knapp 3000 Einwohner.

Die Reaktion

Albert Schindler (64), Bürgermeister: In Empfingen haben die Leute in den Tagen darauf gemeutert: "Wir wollen wissen, was da los ist. Wir lassen uns unser Dorf nicht auseinanderreißen!"

Bis heute vermute ich, dass die Überraschung eine Taktik der Politiker war. Sie wussten, dass ihnen keine Gemeinde um den Hals fallen wird, wenn eine Aufnahmestelle eingerichtet werden soll. Sie haben einkalkuliert, dass sie nach der Info Trouble haben werden. Die Sache an sich war aber dann schon beschlossen.

Wir wollten die Stimmung beruhigen. Herr Gaus und Gfrörer sind mit Megafonen durch den Flecken gelaufen und haben zur Bürgerinformation eingeladen. Tags darauf sind 700 Leute ins Vereinsheim gekommen. Die Stimmung war hochemotional. Da sind auch ein paar ungeschickte Sätze gefallen. Manche befürchteten, dass "Dunkelhäutige" kommen. Wir versuchten gegen die Unwissenheit und Ängste vorzugehen. Sogar 26 Empfinger waren im 18. Jahrhundert ausgewandert. Die Nachfahren dieser Auswanderer, die wir zu erwarten hatten, sprachen ja in vielen Fällen immer noch Deutsch. Auch das hat die Urängste beseitigt.

Politisch haben wir gegen die utopische Zahl von 2000 gekämpft. Auch während der Bundeswehrnutzung waren nur 500 Soldaten in der Kaserne untergebracht. Wir hatten Erfolg. Die Politik ist zurückgerudert. Die Aufnahmestelle startete mit 500 Plätzen und wurde im März 1990 wegen der Welle von Aussiedlern aus Rumänien auf 750 Plätze erhöht. Man hat die Aussiedler in Empfingen oft gesehen, wie sie mit ihren Plastiktaschen zum Edeka laufen. Die haben also auch noch für Umsatz gesorgt. Probleme mit der Empfinger Stammbevölkerung gab es in all den Jahren nie. Der zivile Wachdienst am Kasernengelände sollte vor allem die Bewohner schützen. Denn es gab Deutsche, die hier lebten und es nicht gut meinten mit den Neuankömmlingen.

Die Angst

Hans Hellstern (68), Unternehmer: Ich habe damals in unmittelbarer Nähe der Einrichtung gebaut und erst mal aufgehört, als ich von den Plänen gehört habe. Ich wusste ja nicht, was das für Auswüchse haben wird. Zum Beispiel habe ich einen Wertverlust meines Grundstücks befürchtet. Ich bin als interessierter Bürger mit dem Gemeinderat nach Nürnberg gefahren, um ein Aufnahmelager zu besichtigen. Da hat man die Leute gesehen, wie sie mit ihrer wenigen Habe da gewohnt haben. Ich habe dann schon weitergebaut. Mit den Leuten dort oben in der Kaserne hat man nie viel zu tun gehabt. Letztlich war die Einrichtung der Aufnahmestelle aus meiner Sicht kein so positiver Schritt. Wenn so viele Leute kommen und in der Gemeinde bleiben, braucht es viele Bauplätze. Örtliche Grundstücksbesitzer mussten ihre Plätze selber bebauen oder verkaufen. Das war eine halbe Enteignung.

 Der Einblick

Gudrun Dopp (67), Mitarbeiterin der Aufnahmestelle ab 1989: Ich habe damals eine Arbeitsstelle gesucht und sie in der Aussiedler-Aufnahmestelle gefunden. Die Ankömmlinge waren neugierig, zum Teil verängstigt. Mir hat es Spaß gemacht, mit den Leuten zu reden. Wir haben sie ermutigt, alles dafür zu tun, bald auf eigenen Füßen zu stehen. Die Aussiedler blieben höchstens eine Woche in Empfingen und wurden dann auf Unterkünfte in allen Bundesländern weiterverteilt. Die Ängste waren unbegründet. Auch meine. Ich muss zugeben, ich war zunächst selbst Gegner. Ich dachte, unser Ort wird von den Russen überschwemmt. Heute sage ich: Wer so dagegen ist, soll sich die Zeit nehmen, in ein Lager zu gehen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.

Die Chance

Ilona Brittner (47), Aussiedlerin: Ich bin im Januar 1995 mit einem Koffer aus Kasachstan in der Aufnahmestelle Empfingen angekommen, zusammen mit meinem Sohn, meinen Eltern und meiner Schwester. Mein Bruder war schon sieben Monate zuvor nach Deutschland gekommen und hatte sich in Empfingen niedergelassen. Die Kaserne war sauber, wir konnten schlafen und duschen und hatten es warm. Nach etwa zehn Tagen in der Kaserne hat mein Bruder eine Wohnung in Empfingen für uns gefunden. Hier ein neues Leben anzufangen, war schwierig. Wir wollten unbedingt auf eigenen Füßen stehen. Mein Ziel: Ich wollte nicht vom Staat leben. Unterstützung hat man anfangs zwar gebraucht, aber ich habe nach drei Monaten Arbeit in Empfingen gefunden. Die Kolleginnen dort haben zugegeben, dass sie Angst vor der Aufnahmestelle gehabt hatten. Das konnte ich sogar verstehen. Dann hat man sich kennengelernt, hat miteinander gelacht und sich gemocht. Ich konnte ja Deutsch. Manche dachten, wir hätten in Kasachstan in Zelten gewohnt. Ich habe erzählt, dass wir sogar eine Badewanne hatten (lacht). Empfingen hat mir eine neue Heimat gegeben. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Wir haben ein Haus gebaut. Mein Neffe hat sich auf dem Kasernengelände, wo wir damals angekommen sind, jetzt mit einem Handwerksbetrieb selbstständig gemacht.

Die Bilanz

Albert Schindler, Bürgermeister: Die Bilanz der Aufnahmestelle war aus meiner Sicht positiv. Urängste sind nicht eingetroffen, die Gemeinde hat keinen Schaden erlitten. Ganz im Gegenteil. Die Leute waren hier angemeldet. Somit haben wir vom Land Geld für sie bekommen, mussten aber infrastrukturell nichts für sie tun. In der Aufnahmestelle gab es ja zeitweise einen eigenen Kindergarten. Dafür, dass wir diese Sonderaufgabe für das Land übernommen haben, wurden wir beim Landessanierungsplan bevorzugt. Außerdem ist die Bevölkerung zwischen 1989 und 2006 nachhaltig gewachsen, 30 Prozent davon haben Aussiedler ausgemacht: Etwa 300 Leute aus dem Lager sind in Empfingen heimisch geworden. Mein Ratschlag an andere Gemeinden mit dieser Herausforderung ist, mit Besonnenheit an die Sache heranzugehen, man sollte nicht überreagieren.

Seite 2: Blick zurück

6. April 1989

Im Radio wird verkündet, dass die verlassene Empfinger Kaserne zur Zentralen Aufnahmestelle des Bundes für Aussiedler umgenutzt wird.

7. April 1989

Bürgerinformation im Vereinsheim mit 700 Besuchern 

17. April 1989

Vertretern des Bundes kommen für Verhandlungen nach Empfingen. Rund 200 Bürger demonstrieren vor dem Kasernentor. Der Bund lenkt ein und reduziert die Belegungszahl von angedachten 2000 auf 500.

27. April 1989

Der Gemeinderat fligen mit dem Hubschrauber nach Bramsche bei Osnabrück, um ein Lager für 2500 Menschen zu besichtigen. Die Zustände seien gut gewesen, heißt es im Jahresbericht 1989 der Gemeinde: "Ein weiteres Stück ›Restangst‹ war abgebaut." 

17. Juni 1989

Nur zwei Monate nach Bekanntwerden der Pläne kommen die ersten 58 Aussiedler aus Russland und Kasachstan an. Die Aufnahmestelle schafft rund 70 Arbeitsplätze. 

 März 1990

Aus Rumänien steigt die Zahl der Aussiedler. Die Kapazität in Empfingen wird auf 750 Plätze erhöht. 

30. September 2000

Die Aufnahmestelle wechselt in der Zuständigkeit vom Bund zum Land. Die Kapazität wird auf 250 Plätze verringert, ebenso die Zahl der Arbeitsplätze (von 70 auf 30).

 2004

Die Gemeinde kauft das Kasernengelände 

 30. September 2006

Die Landesaufnahmestelle wird unter Bedauern der Empfinger aufgelöst. Seit den Protesten gegen die Eröffnung hat eine Kehrtwende um 180 Grad stattgefunden.