Notfallseelsorger Thimo Stark erzählt aus seinem Berufsleben. Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder-Bote

Thimo Stark ist Notfallseelsorger / Beim Empfinger Frühstück berichtet er über seine Erfahrungen

Von Jürgen Lück

Empfingen. Das evangelische Gemeindehaus ist voll. Das liegt sicherlich nicht nur am kostenlosen Frühstück. Sondern an Thimo Stark. Der Ergenzinger Pfarrer ist der "Kirchenmann für Katastrophen".

Stark: "Es gibt allein im Landkreis Tübingen 30 Notfallseelsorger. Abwechselnd haben wir jeweils eine Woche Dienst. Dabei werden wir zwischen 70 und 80 Mal gerufen. Zu kleinen und großen Katastrophen."

Seine größte Katastrophe: Als er 14 Jahre alt war, erinnert sich der sympathische Mann, klingelte es an seiner Tür: "Ein Dorfpolizist und der Dorfpfarrer waren an der Tür." Sie überbrachten die Nachricht, dass seine Schwester tödlich verunglückt war: "Ein Schicksalschlag, der mit dafür ausschlaggebend war, dass ich mich für die Notfallseelsorge interessiert habe."

Sein härtester Einsatz: Der Amoklauf in Winnenden. Der 17-jährige Tim K. hatte 15 Schüler erschossen. Stark: "Da war ich zehn Tage im Einsatz und habe eine Familie eines Opfers begleitet." Als in Backnang 2011 ein Haus abbrannte mit neun Toten, darunter acht Kindern, stand Stark den Feuerwehrleuten bei.

Der Notfallseelsorger: "Unsere Aufgabe ist es, den Menschen beizustehen, wenn sie in der Not sind. Wenn die Rettungskräfte gegangen sind und sie allein sind. Es ist gut zu wissen, dass es einen Gott gibt, der weiß, was Leid ist und dem nicht ausweicht."

Und mit diesem Glauben steht Pfarrer Stark den Menschen bei. Stützt sie selbst bei krassen Fällen. Da wird er zu einem Selbstmord gerufen, spricht mit dem verbliebenen Angehörigen. Zwei Wochen später ruft ihn die Kripo an: "Es war Mord. Und ich habe mich mit dem tatverdächtigen Angehörigen unterhalten." Doch klar für den Notfallseelsorger: "Das Beichtgeheimnis gilt." Auch sein letzter Einsatz: Letzten Sonntag in Tübingen. Eltern, deren Kind Selbstmord begangen hat.

Stark: "Selbstmord wird immer häufiger. Ich beobachte dann an den Hinterbliebenen eine Mischung aus Trauer und der Wut, dass der Selbstmörder das einem angetan hat." Und dann ist der Pfarrer vor Ort, um den Menschen zu helfen. Er sagt: "Auf dem Weg dorthin bete ich jedes Mal. Der Glaube hält und trägt mich. Es ist der Auftrag Jesus’, füreinander da zu sein. Und welche andere Aufgabe hätte Kirche, als nicht genau in dieser Situation bei den Menschen zu stehen?"

Und genau diese Aufgabe erfüllt er mit Leib und Seele. Kein Wunder, dass seine Erfahrungen von den Empfingern förmlich aufgesaugt werden. Stark: "Ich habe meinen Notfallkoffer immer dabei. Die Bibel nicht unbedingt. Wenn man den Menschen in dieser Situation etwas aufdrängen möchte, verstärkt das deren Reaktion, nicht verstanden zu werden. Meine Aufgabe ist: Stabilisieren, nicht missionieren."

Ganz wichtig sei es, die Hinterbliebenen nicht zu isolieren. Stark: "Es gibt viele, die trauen sich nicht mehr raus. Weil sie darauf nicht angesprochen werden wollen oder nicht wissen, was sie sagen sollen. Dabei ist Anteilnahme unheimlich wichtig. Da reicht es, den Hinterbliebenen einfach nur die Hand zu drücken und zu signalisieren, dass man an sie denkt. Eine Karte oder ein Blumenstrauß können ähnliche Wirkung haben und sind ganz wichtig!"

Stark wurde übrigens auch alarmiert, als die Flüchtlinge nach Ergenzingen kamen. Der Pfarrer: "Unter den Flüchtlingen gibt es lediglich vier oder fünf Christen. Das ist keine Aufgabe für den Notfallseelsorger, weil die zum Teil hoch traumatisiert sind. Meine Aufgabe dort ist es, den Helfern beizustehen."