Neue Deutung für ein rätselhaftes Bildnis in der Dunninger Martinskirche

Von Julius Wilbs

Dunningen. Wieder einmal ist das rätselhafte Bildnis, das sich seit Jahrhunderten in der Dunninger Kirche befindet, Gegenstand einer wissenschaftlichen Arbeit. Ulrike Kalbaum veröffentlicht in der Zeitschrift für Württembergische Geschichte "Überlegungen zum frühmittelalterlichen Chorschrankengiebel in der Martinskirche in Dunningen".

Das Bildnis hat bereits viele Deutungsversuche hinter sich und erweckt immer wieder das Interesse von Kunstexperten. Manche meinen, es handele sich um ein Zeugnis aus der Frühzeit, andere ordnen es der Romanik zu. Der eine deutet es als Gott Wotan, der auf dem Himmelsthron sitze, umgeben von seinen Wölfen und deklariert es als "Wotanstein". Andere halten es für eine Darstellung der römischen Jagdgöttin Diana mit zwei Windhunden. Es könnte sich aber auch um den heiligen Antonius handeln. Die beiden Tiere seien ein Schwein und ein Hund, also Attribute, mit denen der Bauernheilige oft dargestellt wird. Wieder anderere meinen, dass Daniel in der Löwengrube dargestellt sei.

Egon Rieble schreibt im Dunninger Heimatbuch: "Es ist ein Guter Hirte, wie er auch in den Katakomben zu sehen ist". Schließlich soll noch Stefan Biermeier zitiert werden, der in seiner Magisterarbeit (1997) feststellt, es handele sich um eine frühmittelalterliche Chorschrankenanlage, die er in die Zeit um 700 nach Christus datiert und die Jesus als Erretter der Menschheit zeige.

Ulrike Kalbaum versucht nun eine neue Deutung und widerspricht Egon Rieble ausdrücklich, indem sie feststellt, der Stein zeige nicht den Guten Hirten, der die Schafe beschütze und sein Leben für sie einsetze, "sondern den Menschensohn auf dem Thron der Herrlichkeit, der die Völker voneinander scheiden wird wie der Hirte die Schafe von den Böcken." Sie zitiert die Parabel vom Weltgericht aus dem Matthäusevangelium, in der es heißt: "Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr vom Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist." Den Gläubigen der damaligen Zeit sei das Gleichnis vertraut gewesen und sie hätten es auch ohne Erläuterung verstanden. Auftraggeber des einzigartigen Chorschrankengiebels könnte der Priester der Kirche gewesen sein. Man darf gespannt sein, welches Echo diese Interpretation in der Fachwelt hervorrufen wird.