Ein Dankeschön für die Stammkundschaft: Am morgigen Donnerstag beginnt im Schuhgeschäft von Ernst und Angelika Nestle der Räumungsverkauf. Foto: Schwenk

Traditionsgeschäft hört nach 125 Jahren auf. Gesundheitliche Gründe ausschlaggebend. Kritik an Einzelhandelspolitik der Stadt.

Dornstetten - Ob Fußballschuhe, Stiefel oder Highheels – ging es ans Thema Fußbekleidung, war das Schuhhaus Nestle in Dornstetten über knapp 125 Jahre eine feste Größe. Nun ist Schluss: Am morgigen Donnerstag startet der Räumungsverkauf, spätestens zum 1. Dezember schließt das Fachgeschäft.

"Wenn ich keine Schuhe mehr habe, mache ich vorher zu", sagt Ernst Nestle. Seit 1989 führt Nestle das Familienunternehmen in vierter Generation. Immer an seiner Seite: Ehefrau Angelika. Ohne deren tatkräftige Unterstützung "wäre vieles nicht gegangen", sagt Nestle. Etwa das Engagement im örtlichen Handels- und Gewerbeverein (HGV), an dessen Spitze Nestle jahrelang stand.

Den HGV-Vorsitz legte er bereits vor einigen Jahren nieder, nun folgt die Geschäftsaufgabe. Im Jahr vor dem 125-jährigen Firmenjubiläum kein leichter Schritt. Aber ein notwendiger: Seit gut 15 Jahren ist Ernst Nestle gesundheitlich angeschlagen, täglich im Laden zu stehen fiel ihm zunehmend schwerer. Nun ging es darum, die Weichen neu zu stellen. Denn ein Nachfolger war nicht in Sicht: Sohn Ingo ist zwar Orthopädieschumachermeister, lebt mit seiner Familie aber in Göppingen.

"Den Job, den er dort hat, kann ich ihm hier nicht bieten", sagt Nestle mit Blick auf die Situation des örtlichen Einzelhandels. "Die Frage ist doch, wie und ob der Einzelhandel noch gehört wird." Nestle denkt dabei an die Bahnhofstraße. Die ließ die Stadt jüngst verschwenken, um dort genügend Platz für die Ansiedlung des Discounters Norma nebst eines Drogeriemarkts und Parkflächen zu schaffen. Doch die Ansiedlung der Geschäfte in der Bahnhofstraße ist an eine Auflage geknüpft: Die Verkehrssituation an der Kreuzung Bahnhofstraße/Tübinger Straße muss neu geregelt werden. Dort wird in Bälde ein Kreisverkehr entstehen, dem etablierten Einzelhandel fallen dann 14 öffentliche Stellplätze weg. "Ich bin ein Verfechter von Parkplätzen vor den Geschäften", erklärt Nestle. Für den Dornstetter Einzelhandel seien die Stellplätze ein wichtiger Standortfaktor. "Einem Discounter schanzt man Parkplätze zu, den alteingesessenen nimmt man sie weg", kritisiert Nestle. Das habe nicht nur ihm, sondern auch seinem Sohn die Entscheidung erleichtert.

Leichten Herzens gibt Nestle sein Schuhgeschäft dennoch nicht auf. Schließlich endet hier eine fast 125-jährige Familientradition. 1891 eröffnete Ernst Nestles Ururgroßvater Johannes Nestle im Biegel inmitten der Dornstetter Altstadt seine Schuhmacherwerkstatt. Bereits einige Jahre später, genauer gesagt 1907, zog Nestle in die Gartenstraße und erweiterte sein Geschäft um ein Schuhwarenlager. 1921 übernahm Sohn Ernst Nestle das Ruder und siedelte mit dem elterlichen Betrieb in die Hauptstraße über.

1951 stieg Fritz Nestle, Vater des jetzigen Inhabers, ins Geschäft ein. Gemeinsam mit Ehefrau Lore errichtete er 1975 in der Bahnhofstraße ein neues Wohn- und Geschäftsgebäude mit ausreichend Platz für ein großes Warenangebot und die angeschlossene Schuhwerkstatt. In der steht Fritz Nestle, zwischenzeitlich knapp 90 Jahre alt, noch heute jeden Tag und repariert mit Liebe zum Detail und Handwerkskunst die Schuhe der Kundschaft.

Die Trends kamen und gingen, das Schuhhaus blieb: Über 8000 Paar hatte das Fachgeschäft in Hochphasen im Angebot, auf kompetente Beratung legt man wert. Neben Ernst und Angelika Nestle stehen der Kundschaft zwei Schuhfachverkäuferinnen zur Seite. Die 70er-Jahre hat Ernst Nestle noch besonders gut in Erinnerung. "Die Plateausohlen – das war schon extrem", schmunzelt er. Schuhe, Schuhe und nochmals Schuhe – wird das nicht irgendwann langweilig? "Nein", sagt Nestle. "Da steckt viel Herzblut drin. Zu sehen, wie jemand mit einem neuen Paar den Laden verlässt, zu wissen, dass derjenige sich mit diesen Schuhen gerade eine Freude gemacht hat, das ist einfach ein schönes Gefühl." Dieses Gefühl will das Team des Schuhhauses der Stammkundschaft auch im Räumungsverkauf mitgeben.