Über Veränderungen in der Wirtschaftspolitik spricht Wolfgang Kessler bei der Kolpingfamilie. Foto: Maier Foto: Schwarzwälder-Bote

Wolfgang Kessler zeigt im Vortrag bei Kolpingfamilie Möglichkeiten zu Veränderung auf / Fairtrade statt Freihandel

Von Wolfgang Maier

Donaueschingen. Kritik an der Wirtschaftspolitik und den Finanzsystemen äußerte der Chefredakteur der Zeitschrift Publik Forum Wolfgang Kessler in seinem Vortrag zum Thema "Zukunft statt Zocken‹ bei der Kolpingfamilie. Eine kurze Zeit habe man den Eindruck gewonnen, die Politik habe aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gelernt. Dem sei aber nicht so.

In Deutschland werde die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern trotz guter Wirtschaftsdaten immer größer. Ein Viertel der Deutschen, darunter 2,6 Millionen Kinder, seien vom Wohlstand abgehängt. Die Altersarmut wachse, der Arbeitsmarkt zerfalle in Minijobs, Honorarverträge und Leiharbeit. Wenn jeder dritte Arbeitnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag habe, seien stabile Partnerschaften, ein Leben mit Kindern oder gesellschaftliches Engagement nicht zu erwarten. Das Finanzsystem diene nicht mehr dazu, Geld gegen Zinsen zu leihen, sondern um durch Verkauf und Spekulation von und mit Geld möglichst schnell mehr Geld zu machen, ohne dass damit Werte geschaffen würden. Die Rohstoffe werden knapp, das Klima wird wärmer, es gibt Kriege um Rohstoffe, Millionen fliehen aus ihrer Heimat.

"Bleibt da noch etwas außer Verzweiflung?", fragte der Referent. Er konnte die Frage mit "Ja" beantworten. Auf seinen zahlreichen Reisen erfuhr er, dass es Menschen gibt, die als Verbraucher, Politiker, Unternehmer und Banker anderes Wirtschaften versuchen. Er berichtete, dass die Stadt Neuss bei Ausschreibungen soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt. So haben beispielsweise Pflastersteine aus Kinderarbeit und Betriebe ohne tarifliche Bezahlung und Billigkaffee keine Chance. Eine Bank mit dem Namen GLS, was Geben, Leihen, Schenken bedeutet, die vor 35 Jahren gegründet wurde, zahlt Zinsen wie jede andere, spekuliert aber nicht mit dem Geld der Kunden. Sie finanziere keine Waffen und Umweltzerstörung. Die Kunden könnten mitbestimmen, welche Projekte gefördert werden.

Die Kantonsregierung von Basel führe vor, wie Ressourcen verteuert und deshalb gespart werden, ohne sozial Schwächere besonders zu belasten. Es werde eine Abgabe von 25 Prozent auf den Strompreis erhoben und Mitte des kommenden Jahres zu gleichen Teilen pro Kopf der Bevölkerung zurückgezahlt. Der Industriedesigner Bas van Abel hat ein faires Smartphone entworfen. Bei chinesischen Zulieferern wird auf existenzsichere Löhne gedrungen und kontrolliert.

"Wenn die Politik wirklich Veränderungen wollte, wären dazu fünf Schritte notwendig", zeigte Wolfgang Kessler auf: etwa die gerechtere Verteilung des Reichtums. Es brauche Mut zu einer Vermögensabgabe, einem höheren Spitzensteuersatz, zu höheren Steuern auf große Erbschaften und auf den Luxuskonsum. Der zweite Schritt wäre eine ökologische Wirtschaftsweise mit Abgaben auf endliche Rohstoffe, wobei die Regierung die Ökoabgabe zurück gibt wie in Basel. Ein weiterer Schritt wären Gesetze, die andere Unternehmen und ein anderes Bankwesen fördern. Notwendig sei eine Finanzumsatzsteuer, die kurzfristige spekulative Geldbewegungen belastet. Weitere Schritte wären: Fairtrade statt Freihandel. Und schließlich wäre ein sozial-ökologischer Marshallplan notwendig. Damit könnte man Wirtschaftsmodelle mit Zukunft fördern.

Kessler stellte die Frage, wie man zur Verwirklichung der fünf Punkte kommen könnte. Erstens könnten wir uns selbst verändern, beispielsweise durch den Kauf fair gehandelter Ware. Eine wirkliche Änderung sei aber nur durch politische Rahmenbedingungen möglich.

Er nannte als Beispiel dass nach jahrelangen Demonstrationen gegen die Atomkraft nach der Katastrophe in Japan der Ausstieg beschlossen wurde. Wenn Menschen ihre Ängste überwinden, gemeinsam realistische Alternativen denken und leben, bereiten sie den Boden für politische Veränderungen. Schön wäre es nur, wenn die Politik nicht für jede Umkehr eine große Katastrophe bräuchte.