Leni Breymaier, die baden-württembergische Vorsitzende der SPD, spricht beim Landesparteitag in Donaueschingen. Foto: dpa

Landesverband startet Erneuerungsprozess. Leni Breymaier verärgert über Querschüsse aus eigenen Reihen.

Donaueschingen - SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier zeigt sich verärgert über Querschüsse aus den eigenen Reihen – im Visier hat sie ihren Landesvize Frederick Brütting sowie Juso-Landeschef Leon Hahn.

Die SPD hat Redebedarf. Es gärt an der Basis nach all den schweren Niederlagen, und der Landesparteitag in Donaueschingen bietet ihr ein willkommenes Ventil. Somit melden sich 30 der 320 Genossen allein bei der Generalaussprache zu Wort.

Genossin: nicht deutlich, wofür Partei steht

"Wir sprechen noch immer nicht mit einer Stimme", tadelt eine Rednerin, die erst 2016 in die Partei eingetreten ist. Und: Die SPD könne noch nicht deutlich machen, wofür sie stehe. Es brauche eine "sozialdemokratische Erzählung", keine rückwärtsgewandten Debatten über die Agenda 2010. "Wir haben uns nicht mit den drängenden Problemen der Menschen beschäftigt", sagt eine zweite. "Wir müssen uns öffnen für die Milieus", sagt ein dritter Redner. So geht das fast zwei Stunden lang.

Auch Landeschefin Leni Breymaier lässt Dampf ab: "Wirklich daneben" findet sie es, dass der Leitantrag des Landesvorstandes nicht, wie verabredet, durch Änderungsvorschläge ergänzt worden sei. Vielmehr sei ohne Absprache mit ihr ein Alternativantrag geschrieben worden. "Schade" sei es, "dass wir so miteinander umgehen". Es könne nicht sein, dass Solidarität hochgehalten, aber nicht gelebt werde.

Ziel der Attacke sind Juso-Landeschef Leon Hahn und Landesvize Frederick Brütting – diese hatten zur Überraschung selbst der Jusos dem Initiativantrag von Generalsekretärin Luisa Boos einen Konkurrenzvorschlag entgegengesetzt. Die Abweichler setzen im Ringen um den SPD-Kurs auf den "offenen Dialog mit den Menschen auf allen Ebenen". Ihnen geht die Erneuerung nach außen nicht schnell genug. Kritisiert wird, dass der Boos-Antrag den Schwerpunkt auf die interne Debatte legt. Vermieden wurde die offene Konfrontation nur, weil man sich in der Nacht vor dem Parteitag auf eine einheitliche Fassung einigen konnte.

Strittig blieb ein Detail: Soll die SPD beim Bundesparteitag Anfang Dezember auf jeden Fall ein neues Grundsatzprogramm beschließen, wie das Boos-Lager meint? Dahinter steckt die Hoffnung auf eine Korrektur des Hamburger Programms von 2007, das die SPD nach Ansicht linker Kritiker in eine wirtschaftsliberale Richtung gerückt hat. Das Hahn-Lager wollte die Entscheidung darüber ans Ende des Erneuerungsprozesses legen. "Ich bin eher für ein neues Grundsatzprogramm", sagt Breymaier. "Dann wissen die Leute, was wir wollen – wir kriegen mehr Aufmerksamkeit und mehr Leute, die mitmachen."

Noch immer rätselt die Landeschefin, warum der Bundestagswahlkampf so in die Binsen gehen konnte: "Der Funke, den wir im März gespürt haben, ist überhaupt nicht übergesprungen", sagt sie. "Wir müssen Sozialdemokratie pur leben – und an unserer Kommunikation arbeiten." Zum Beispiel "reden wir so wohlfeil", sagt Breymaier. "Wir sollten über unsere Debattenkultur nachdenken, die manchmal von Überheblichkeit geprägt ist und sprachlos macht."

Breymaier: mit uns selbst beschäftigen

Nun beginnt die "Inventurphase": "Wir müssen uns ehrlich machen", sagt Breymaier und spricht sich etwa für eine transparentere Aufstellung der Landeslisten vor Wahlen aus. Anfang 2018 werden Arbeitsgruppen eingesetzt, dann wird eine Diskussion mit Ortsvereinen und Kreisverbänden in Gang gebracht. Abschließend soll im November ein Parteitag die neue Struktur beschließen. "Ich verlange zwar, dass wir uns ein Jahr lang mit uns selbst beschäftigen", sagt Breymaier. "Aber wir haben es auch nötig." 2018 sei Zeit dafür, da die Kommunal- und Europawahlen erst 2019 anstehen.

Ähnlich wie Hahn mahnt Fraktionschef Andreas Stoch, den Dialog mit den Wählern nicht der internen Debatte unterzuordnen: "Wir können uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen", kontert er. "Die Menschen brauchen eine sozialdemokratische Partei, die für ihre Interessen eintritt."

Bundesvize Ralf Stegner vertritt die Parteispitze. "Die SPD ist eine Großbaustelle – und wir brauchen eine Sanierung vom Keller bis zum Dach", sagt der Kieler. Eine "klare Sprache" fordert er, "denn wenn die Leute uns nicht verstehen, werden sie uns nicht folgen". Und der Parteilinke mahnt mehr Stolz auf das Erreichte an, die Selbstkritik werde übertrieben. "Wir müssen kapieren, dass der Gegner nicht in der eigenen Partei ist."

Positive Nachrichten hat die SPD aber auch zu bieten: 750 Neumitglieder sind seit der Bundestagswahl im Land eingetreten – 2700 im ganzen Jahr. Die Hoffnung auf eine Wiederauferstehung ist ungebrochen. u Seite 2