Hält in Hamburg die Neudinger Flagge hoch: Bruno Rohrer – ein badischer Hanseat. Fotos: Klitzsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Bruno Rohrer ist Hanseat aus Überzeugung – und seiner Heimat Neudingen trotzdem immer noch sehr verbunden

Von Michael Klitzsch

Hamburg/Donaueschingen-Neudingen. Den Neudinger sieht man Bruno Rohrer nicht sogleich an. Wenn der 70-Jährige mit seiner hanseatischen Mütze – einem echten "Elbsegler" – und dem hochgeschlagenen Kragen seiner wetterfesten Jacke am Aßmannkanal in Hamburg steht und die Möwen beobachtet, dann sieht er aus wie ein echtes Nordlicht. Selbst wenn Bruno Rohrer spricht, deutet kaum noch etwas auf seine badische Herkunft hin – im Gegenteil: Man hat den Eindruck, der Mann mit dem weißen Haar, dem verschmitzten Lächeln und den sympathischen Lachfalten um die Augen, hat sich einen hanseatischen Zungenschlag angewöhnt. Man muss sich über all das nicht sonderlich wundern: Schließlich lebt Bruno Rohrer seit 50 Jahren in Hamburg. Die Hafenmetropole habe ihn schon bei der ersten Ankunft 1961 für sich eingenommen, erzählt er: "Das Flair, die Vielfältigkeit, die Kultur und die Nähe zum Wasser – das liebe ich an Hamburg." 1955 begann Rohrer eine Lehre zum Metzger in der Donaueschinger "Linde", die damals auch noch ein Schlachtbetrieb war. Als er im April 1958 ausgelernt hatte, zog es ihn recht schnell in die Ferne: 1959 ging er nach Villingen, 1960 nach Essen und 1961 machte er sich mit seinem VW-Käfer auf den Weg nach Hamburg. Die Entscheidung, die Heimat zu verlassen, sei genau die Richtige gewesen, sagt er heute rückblickend: "Die Enge des Dorflebens, das war nichts für mich. Ich brauche diese Freiheit hier."

Wer jetzt jedoch denkt, Bruno Rohrer habe seine Wurzeln hinter sich gelassen, liegt gänzlich falsch. Das Gegenteil ist richtig: Bruno Rohrer pflegt viele herzliche Verbindungen nach Neudingen, seit er Rentner ist, kommt er im Jahr im Schnitt dreimal in die badische Heimat. Zur Fasnacht, im Mai zum Helferfest auf dem Fürstenberg und nochmals im September. Auch seinen 70. Geburtstag im Juli dieses Jahres hat Rohrer in der Neudinger "Sonne" gefeiert. Immer mit dabei: Seine Frau Sigrid, die aus dem niedersächsischen Dorf Brome bei Wolfsburg stammt und die Bruno Rohrer in einem Tanzlokal im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg kennenlernte. Die unterschiedliche Herkunft führte am Anfang noch zu ein paar Irritationen: Bruno hatte sich Sigrid im Brustton der Überzeugung als "Badenser" vorgestellt. Mit dem Wort konnte die Niedersächsin allerdings nicht viel anfangen und erzählte ihren Freundinnen zunächst, ihre neue Bekanntschaft komme aus Bad Ems.

Inzwischen weiß Sigrid natürlich nicht nur sehr gut, woher ihr Gatte tatsächlich kommt: "Sie kennt in Neudingen inzwischen auch mehr Leute als ich", erzählt Bruno Rohrer und schmunzelt. Dabei war der erste Besuch in Neudingen für Sigrid Rohrer "furchtbar", wie sie sich rückblickend erinnert. Bei ihrer Ankunft und dem Marsch zu Rohrers Haus am anderen Ende des Dorfes habe ganz Neudingen "die Neue vom Bruno" aus Haustüren und Fenstern beäugt – während sie sich mit Stöckelschuhen auf dem Kopfsteinpflaster fast die Beine brach. Dann verflog das Unbehagen aber schnell. Die Familie habe sie gleich unter ihre Fittiche genommen: "Da war ich sofort daheim."

Die guten Beziehungen zu Familie und Freunden in Neudingen funktionieren bis heute in beide Richtungen. Erst am 9. September war bei den Rohrers in Hamburg eine 16-köpfige Abteilung der Theatergruppe des Neudinger Radvereins zu Besuch, Rohrers machten mit dem fröhlichen Trupp eine Führung über die Reeperbahn und die Neudinger bedankten sich am nächsten Abend mit vielen lustigen Vorführungen und Sketchen. Und die präsentieren sie nicht nur dem Ehepaar Rohrer. Die Neudinger traten vor den Mitgliedern des "Vereins der Badener von Hamburg und Umgebung" auf, in dem Sigrid und Bruno Rohrer seit 27 Jahren Mitglied sind. In dieser geselligen Gemeinschaft lebt der nordische Neudinger seine Heimatverbundenheit aus, wenn er gerade nicht im Süden unterwegs ist: Mit den Exil-Badenern trifft er sich in der Regel einmal im Monat, dann schmettern sie zusammen das Badener Lied und an Fasnacht beglückt Rohrer die Hamburger Kollegen bei der Vereinsfeier oftmals mit einem Auftritt im Häs der Neudinger Klosternarren, denen Rohrer seit 23 Jahren angehört.

Auch in seinem Schrebergarten hält Bruno Rohrer die Fahne seiner Heimat hoch – im wahrsten Sinne des Wortes. An einem Fahnenmast direkt am Kanal weht dort ab und an die Flagge Neudingens den vorbeifahrenden Schiffen entgegen und an seinem gemütlichen Gartenhaus prangt das Wappen Badens. Gleichzeitig ist Rohrer aber auch sehr interessiert an seiner unmittelbaren Umgebung, erzählt engagiert vom Ausbau des Kanals zur Internationalen Gartenausstellung 2013 in Hamburg und dem Besuch bei der jüngsten Bürgerversammlung. Nordlicht oder Neudinger – so einfach lässt sich die Frage im Fall von Bruno Rohrer eben nicht beantworten. In seiner Brust schlagen zwei Seelen. Bruno Rohrer ist ein badischer Hanseat, ein Exil-Badenser – Zwar nicht aus Bad Ems, aber dafür mit Elbsegler.