Aufmerksam lauschen die Deißlinger den Ausführungen der Architekten, bevor sie selbst Fragen stellen. Foto: Maier Foto: Schwarzwälder-Bote

Städtebaulicher Wettbewerb Ortsmitte: Bürger stellen viele Fragen an Vertreter der ersten drei Preise / Ulbrich: Beginn für 2017 angestrebt

Von Jürgen Maier

Deißlingen. Die Gemeinde Deißlingen möchte die Ortsmitte um das Jerger-Areal zukunftsfähig gestalten und hat dafür einen städtebaulichen Wettbewerb ausgeschrieben (wir berichteten). Die Bürger haben bei einer Präsentation zahlreiche Fragen an die Architekten der ersten drei Preise gestellt.

Die Stühle im Hagestell sind gut gefüllt. Etwa 80 Bürger sind gekommen, um ihre Meinung zur neuen Ortsmitte zu äußern. Die Vertreter der drei ersten Preise sowie Sebastian Zoeppritz, Vorsitzender des Preisgerichts, und Bürgermeister Ralf Ulbrich sitzen an einer Tischreihe. Hinter ihnen hängen die Pläne und Beschreibungen der ersten drei Preise.

"Die neue Ortsmitte wird die Schlüsselaufgabe der nächsten Jahre sein", sagt Ulbrich. Zoeppritz spricht von einer "komplexen Aufgabenstellung" für die Architekten. "Vier Bereiche sollten sie abdecken: einen zentralen Platz auf dem Jerger-Areal zu schaffen, freiliegende Flächen nutzbar zu machen, den Neckar zu erschließen und die Verkehrsführung." Mathias Hähnig (Hähnig-Gemmeke Tübingen, erster Preis), Jürgen Pfaff (Faktorgruen Freiburg, zweiter Preis) und Michael Glück (Glück Landschaftsarchitektur Stuttgart, dritter Preis) betonen die heterogene Ortsstruktur Deißlingens. Dann präsentieren sie ihre Einreichungen.

Während Hähnig Wert auf ein harmonisches Ganzes legt, ist es Pfaff wichtig, Deißlingens Ortsmitte eine übergeordnete Struktur zu geben. "Wir haben einen weichen Ansatz gewählt, bei dem wir die bestehende Struktur nur geringfügig verändern wollen", erklärt Glück.

Nach 60 Minuten erhalten die Bürger die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Anregungen zu geben. In ebenfalls einer Stunde nutzen sie diese Chance gleich für mehrere Bereiche. Was treibt sie bei der neuen Ortsmitte um? u Verkehr und Bebauung: Die Verkehrsführung und Bebauung der Ortsmitte ist das zentrale Anliegen der Bürger. Zunächst fragt Brigitte Carstensen nach der Stauffenbergstraße. Ihr schwebt vor, dass sie vom Durchgangsverkehr zur innerörtlichen Rückgratstrecke werde. Ulbrich entgegnet: "Es handelt sich hier um eine Kreisstraße." Im Anschluss bringt Gemeinderat Wolfgang Dongus (SPD) eine Tempo-30-Zone in diesem Bereich ins Spiel. Daraufhin grummeln die Besucher am lautesten bei der Veranstaltung. Hähnig kann sich eine derartige Verkehrsführung vorstellen. Dongus erkundigt sich auch nach möglichen Stellplätzen in der neuen Ortsmitte. Hähnig erwähnt die Möglichkeit einer Tiefgarage unter dem zentralen Platz sowie weitere Stellplätze. Er spricht von insgesamt "80 möglichen Parkierungen".

CDU-Fraktionsvorsitzende Karin Schmeh will wissen, welche Planungen für das Brühlgässle vorgesehen seien. "Wir wollen es erhalten. Hier können wir uns eine Spielstraße vorstellen", erklärt Hähnig. Das Gässle sei auch wichtig, um die kurzen Wege in der Ortsmitte zu erhalten.

SPD-Gemeinderat Bernd Angst erkundigt sich nach der Sinnhaftigkeit von Schutzstreifen im Bereich der Stauffenbergstraße. Glück sieht diese dort als nicht sinnvoll an.

"Wo sollen die Geschäfte für die neue Ortsmitte herkommen", fragt Willi Lengert. Hähnig und Ulbrich verweisen auf mögliche Neuansiedlungen im Bereich des zentralen Platzes, die sich durch eine höhere Frequenz in diesem Bereich ergeben könnten. "Uns ist eine Bestandssicherung wichtig. Deshalb kann es sein, dass Geschäfte innerörtlich umziehen", sagt Ulbrich.

u Gestaltung zentraler Platz: Gemeinderat Dietmar Kargoll (CDU) stellt die Frage, wie der zentrale Platz belebt werden solle. "Durch das mögliche Dienstleistungszentrum, ein Café und Geschäfte um den zentralen Platz", antwortet Hähnig. Seine Architektenkollegen verweisen auf wasserbelebende Elemente und Sitzstufen am Neckar.

u Wohnformen: Später fragt Angst, inwieweit Mehrgenerationen-Wohnen möglich ist und ein Energiekonzept vorliegt. Der Bürgermeister verweist auf das geplante Betreute Wohnen. Hähnig sieht die Möglichkeit von Passivhäusern auch im Privatbereich. "Auch das Blockheizkraftwerk und Solarenergie können hier genutzt werden." u Fazit: Ulbrich spricht abschließend von einer langfristigen Aufgabe, die zehn bis 20 Jahre dauern könne. 2015 solle geplant werden, der Beginn werde für 2017 angestrebt. Mit den Architekten des Siegerentwurfs sollen nun laut Ulbrich die weiteren Planungen vorangetrieben werden.

u Erster Preis: "Deißlingen am Neckar"

Das Büro Hähnig-Gemmeke aus Tübingen reichte zusammen mit Stefan Fromm aus Dettenhausen den Siegerentwurf ein. Sebastian Zoeppritz, Vorsitzender des Preisgerichts, würdigt die "angemessenste Größenordnung" aller Einreichungen hinsichtlich der Gestaltung der neuen Ortsmitte Deißlingen. Besonders der allseitig zugängliche zentrale Platz an der Stauffenbergstraße und der Bezug zur St.-Laurentius-Kirche zeichneten den Siegerentwurf aus. Er sieht das Potenzial, dass der neue Dorfplatz eine lebendige Stelle werde. Auch die Verbindung von Kirche, zentralem Platz und Neckar durch eine Sichtachse hebt der Vorsitzende des Preisgerichts positiv hervor. Die Sitzstufen am Neckar seien ebenfalls "gut". "Die südliche Abhang Richtung Neckar könnte noch besser sein."

u  Zweiter Preis: "Eine Mitte bis zum Fluss"

Die Arbeitsgemeinschaft Faktorgruen und K9 Architekten, die beide aus Freiburg kommen, belegte den zweiten Platz. Dieser Vorschlag sieht laut Zoeppritz eine andere geometrische Anordnung vor. Allerdings fehle eine Blickachse vom zentralen Platz zum Neckar. Die in Gruppen angesiedelten Gebäude Richtung Neckar seien allerdings von der Dimension her zu groß. Es geht hier um Wohnbebauung mit drei Gruppen von jeweils vier Wohngebäuden. Hier habe die Arbeitsgemeinschaft nicht wie der Siegerentwurf den richtigen Maßstab gefunden. Auch bei den Sitzstufen am Neckar bemängelt der Vorsitzende des Preisgerichts die für ihn unangemessenen Größenverhältnisse. Generell teilt sich dieser Entwurf in zwei Bereiche auf, wodurch nicht das gleiche harmonische Ganze wie bei dem ersten Preis erreicht werden kann.

u Dritter Preis: "Grüne Ortsmitte Deißlingen"

Dem Entwurf der Landschaftsarchitekten Glück und "mharchitekten", die beide aus Stuttgart kommen, hat die Jury den dritten Preis zugesprochen. Bei diesem Beitrag lobt Zoeppritz die Gebäudestellung am Neckar. Er kritisiert aber die Gestaltung des zentralen Platzes. "Er ist bei diesem Beitrag etwas zu groß und ausufernd angelegt. Wie beim zweiten Preis sieht der Vorsitzende des Preisgerichts auch bei diesem Entwurf generell ein Problem bei der Anlage der Größenordnungen. "Dadurch könnte die Ortsmitte an manchen Stellen wie dem Neckar etwas verlassen dastehen", erklärt Zoeppritz. Eine Besonderheit dieses Beitrags besteht darin, dass er für den topografisch anspruchsvollen Ochsenbuckel ein neues Gebäude vorsieht. Allerdings könnte dies verkehrstechnisch problematisch sein, meint der Vorsitzende des Preisgerichts.

Von Jürgen Maier

"Was ist Deißlingen?", fragt sich Landschaftsarchitekt Michael Glück aus Stuttgart, als er die Ausschreibung für den städtebaulichen Wettbewerb sieht. Dieses Geständnis hat er am Dienstagabend bei der Präsentation seines Beitrages abgelegt. Die Deißlinger verziehen zurecht die Mienen. Ihrem Unmut machen sie durch ein lautes Raunen Luft. Doch damit nicht genug: Anschließend fragt sich Glück, wo Deißlingen denn überhaupt liege. "Am Neckar", stellt er überrascht fest. Doch der sei größenmäßig mit dem in der Landeshauptstadt ja nicht vergleichbar. Der Fluss bereitet auch Glücks Architektenkollegen Kopf zerbrechen. Bei ihrer Stippvisite müssen sie sich durch ein Dickicht wühlen, um ihn überhaupt zu finden. Aber spätestens wenn die Architekten aus Tübingen, Freiburg oder Stuttgart ihr Honorar erhalten, werden sie wissen, was, wo und wie Deißlingen ist.