Foto: Schwarzwälder-Bote

Das Fernsehspiel "Terror" rückte dieser Tage eine Dilemma-Geschichte in den Mittelpunkt

Das Fernsehspiel "Terror" rückte dieser Tage eine Dilemma-Geschichte in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Es ging dabei um die Frage, ob ein Kampfpilot ein Flugzeug abschießen darf, in dem 164 Menschen sitzen. Terroristen haben das Flugzeug in ihre Gewalt gebracht und wollen es in ein Stadion mit 70 000 Menschen stürzen lassen.

Durfte der Pilot dieses Flugzeug abschießen? Hat er sich schuldig gemacht? Und muss er dafür bestraft werden? Die Fernsehzuschauer durften abstimmen. Mehr als 80 Prozent fanden, dass der Pilot "nicht schuldig" sei.

Kann das stimmen? 164 Menschen sterben, und keiner ist schuld? Die Frage nach der Schuld ist eine schwierige. Sie rührt uns an. Sie kann entscheidend sein, ob wir frei leben können oder innerlich gekrümmt durchs Leben gehen müssen. Auch deshalb war das TV-Drama so anrührend. Ich kenne Menschen, die danach nicht gut geschlafen haben.

Ich habe aus dieser Diskussion gelernt, wie groß offenbar die Sehnsucht nach einfachen Lösungen bei vielen Menschen ist. Natürlich ist der Pilot schuldig, er hat 164 Menschenleben und das Leben der Terroristen ausgelöscht. Auch wenn er möglicherweise sehr viele Leben gerettet hat, kann er gar nicht unschuldig sein. Die Entscheidung aber, vor die der Fernsehzuschauer gestellt wurde, war eine vereinfachte, künstliche. So einfach und künstlich ist Wirklichkeit nicht. Dem Wunsch nach einfachen Lösungen sollte man nicht nachgeben. Es gibt Situationen, in denen es keinen Ausweg aus Schuld gibt. Man hat nur die Wahl zwischen Schuld und Schuld. Der Pilot hat sich schuldig gemacht. Er hat das bewusst getan. Man kann ihn verstehen. Aber unschuldig ist er nicht.

Ein gerechtes Gericht würde ihn schuldig sprechen. Aber es kennt den Ausweg, jemanden schuldig zu sprechen, ihn aber nur milde zu bestrafen. Auf diese Weise könnte die Straftat zwar als solche bezeichnet, aber die tragische Situation des Täters berücksichtigt werden. Diese Möglichkeit wurde den Fernsehzuschauern vorenthalten. Schade. So wurden sie verführt, einem Bauchgefühl zu folgen. Und das Urteil geriet auf die schiefe Bahn: Es war ein Urteil, das jeder Menschlichkeit und jeder Menschenwürde widerspricht – und damit auch unserem Grundgesetz.

Noch mal zur Kernfrage des Dilemmas: Darf man Leben gegen Leben abwägen? Haben die Flugzeugpassagiere eine Solidarpflicht, dass sie, auf ihr Leben verzichten müssen? Müssen sich die Insassen für das Ganze aufopfern? Durfte sie der Angeklagte also töten?

Die Antwort lautet glasklar: Nein! Darf er nicht! Kein Mensch, kein Staat, überhaupt niemand hat das Recht, jemandem das Leben zu nehmen und Menschenleben zu opfern. Wo das trotzdem geschieht, wird die Menschenwürde verletzt. Gut, dass es keine Volksgerichte mehr gibt! Das Bauchgefühl einer Mehrheit lässt sich viel zu leicht in die Irre führen!

Schließlich: Egal, wie sich der Kampfpilot entscheidet: Seine Schuld ist monströs! Dass Jesus am Kreuz für die Schuld des Menschen gestorben ist, bekommt für mich vor dieser monströsen Schuld eine neue Tiefe.

Ich wünschte, ich könnte für mich, den Satz des alten Beters geltenlassen: "Bei dir (Gott) ist die Vergebung, dass man dich fürchte." (Psalm 130,4) Auf dass niemand wegen einer Schuld innerlich gekrümmt durchs Leben gehen muss.

  Dieter Raschko ist Pfarrer an der evangelischen Stadtkirche Calw