"Wir Bauern jammern ja ganz gerne", sagt Martin Blaich mit einem Augenzwinkern. Aber die aktuellen, kaum kostendeckenden Milchpreis geben auch ihm Anlass, über neue Strategien in der regionalen Landwirtschaft nachzudenken. Foto: Kunert

Landwirt Martin Blaich mag nicht in Jammer-Chor seiner Kollegen einstimmen. Mit neuen und alten Strategien gegen ruinösen Milchmarkt.

Calw-Stammheim - Martin Blaich aus Calw-Stammheim ist Landwirt aus Leidenschaft. In dritter Generation bewirtschaftet er den Lindachhof, etwas außerhalb vom Ort Richtung Holzbronn gelegen.

Rund 200 Stück Vieh hat Blaich in seinen Ställen stehen, davon 100 Milchkühe. Die täglich bis zu 2400 Liter Milch geben. Für die er aktuell immer weniger Geld von den Aufkäufern bekommt. Weshalb Blaichs Kollegen in ganz Europa immer häufiger und immer vehementer auf die Straße gehen. "Die Situation ist schon ernst", sagt auch Landwirt Blaich. Aber er ist auch selbstkritisch: "Wir Landwirte jammern ja schon immer ganz gerne." Wobei sich die Lachfalten im vom Wetter gegerbten Gesicht des Landwirts noch ein wenig tiefer ziehen als sowieso schon. Dabei hätte auch er längst Grund für mehr Sorgenfalten, denn: "Wir bekommen im Moment 29 Cent Grundpreis pro Liter Milch. Je nach Fett- und Eiweißanteil summiert sich das auf 30 bis 31 Cent insgesamt." Das sei auch für ihn kaum kostendeckend.

Allerdings: "Schlechte Preise hatten wir auch in der Vergangenheit immer wieder einmal." Das allein jetzt auf die weggefallenen Milchquoten in Europa zu schieben, sei seiner Meinung nach, so Blaich, nicht ehrlich. "Wir produzieren einfach zuviel. Und der Weltmarkt nimmt nicht genug ab." Da sei es eigentlich völlig normal, dass die Preise in den Keller gingen. Eigentlich. Denn natürlich sei es auch so, dass der Markt auf die wirklich großen industriellen Erzeuger ausgerichtet sei, die mit immer größeren Betrieben versuchten, immer günstiger zu produzieren. Insofern herrsche auch ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb, der in Phasen wie dieser zu einer Konsolidierung des Marktes führe. Früher habe es beispielsweise in Calw-Stammheim 300 Milcherzeuger gegeben. Heute seien es gerade mal drei.

"Offiziell gelte ja auch ich schon mit meinen 200 Stück Vieh als industriell – aber das stimmt nicht. Wir sind ein reiner Familienbetrieb." Gemeinsam mit Ehefrau Gaby, einer gelernten Agraringenieurin, und seinem Sohn Benjamin, wie er ein Landwirtschaftsmeister, bewirtschafte er den Hof, zu dem auch rund 130 Hektar Land gehörten. Damit sei der Lindachhof, so wie er heute aufgestellt sei, an seiner Wachstumsgrenze angekommen.

"Mehr würden wir zu dritt einfach nicht schaffen." Zwar könnte man noch an ein oder zwei Stellen mit Automation etwa durch Melkroboter (personelle) Kapazitäten freischaufeln, um in mehr Tiere und/oder mehr Land zu investieren, also um doch noch größer zu werden und den Ertrag zu steigern. "Aber das musst du dann erst einmal mit Krediten finanzieren." Und die seien immer zweischneidig, auch in einer Niedrigzinsphase wie derzeit. "Wer in Situationen wie jetzt, wo es keinen kostendeckenden Preis für die Milch gibt, den Abtrag genau aus solchen Investitionen finanzieren muss, der läuft schnell gegen die Wand." Darum treffe es aktuell genau jene mittelständischen Betriebe besonders hart, die zuletzt solche großen Investitionsrunden in die eigene Infrastruktur geleistet hätten.

Andererseits gebe es nicht wirklich andere Einsparpotenziale in der Milchviehwirtschaft: "Gutes Futter brauchst du, willst du gesunde Tiere und einen vernünftigen Ertrag." Auch bei Zucht und Aufwuchs habe man über die Jahre längst alle Möglichkeiten zur Kostensenkung ausgeschöpft. "Am Ende des Tages braucht es halt den kostendeckenden Preis." Und eben bei Bedarf Rücklagen und eine langfristige Finanzplanung, um solche "Durststrecken" wie jetzt durchhalten zu können.

Landwirt Blaich hat daher seine eigene Strategie als Milchbauer, um langfristig zu überleben. Und die heißt: Diversifizierung. "Die Milch macht bei uns nur rund 60 Prozent der Einnahmen aus." Das sei zwar immer noch viel, verschaffe aber Spielraum, um auf Marktkapriolen wie aktuell mehr oder weniger gelassen zu reagieren. "Den Rest verdienen wir mit Ackerbau und Landschaftspflege." Und über den Maschinenring arbeite er auch zum Beispiel mal im Winterdienst, um zusätzliche Einnahmen für seinen Betrieb zu generieren.

Was vielleicht künftig auch noch mehr Bedeutung gewinnen – und damit mehr Umsatz für die Betriebe bringen könnte: Die "Veredelung" der Produkte aus der Viehwirtschaft und Milchproduktion in der eigenen Region. Zum Beispiel das Fleisch der alten Milchkühe, das Gourmets überall im Land gerade wegen des einzigartigen Geschmacks für sich zu entdecken beginnen. Das Fleisch dieser Tiere wird dabei gerne in der Qualität mit dem der berühmten (und extrem hochpreisigen) Kobe-Rinder aus Japan verglichen. Derzeit, berichtet Blaich, gelange "das edelste Fleisch" seiner Tiere über Zwischenhändler nach Frankreich, wo man dessen hohe Qualität schon längst entdeckt habe. Das Gros allerdings lande im Augenblick noch "als Hackfleisch bei Aldi oder McDonalds".

Ein anderes Modell, das regionalen Milchbauern aus der Preismisere helfen könnte, sei die Produktion zum Beispiel von hochwertigen Käse aus heimischer Milch. Denn anders als die Milch selbst und die Frische-Produkte aus der Milch wie Butter, Quark oder Sahne sei Käse über die Jahre immer extrem preisstabil geblieben. "Und sehr ertragsstark", wie auch Blaich beobachtet. Aber: Die Initiative für die Erzeugung solcher Produkte und den Aufbau regionaler Verwertungsketten müsste wohl von außen kommen, denn: "Wir sind eben ›nur‹ Bauern." Keine Händler, keine Kaufleute. Jedenfalls nicht in erster Linie.

Aber Beispiele aus anderen Regionen zeigten, das solche Modelle funktionieren könnten. Wenn man langsam und organisch wächst. Und nicht wieder mit zu hohen Anfangsinvestitionen einen Start belaste. "Das wäre schon toll, wenn so etwas auch hier bei uns funktionieren könnte." Und völlig neu seien diese Ideen ja auch nicht, denn "eigentlich wären das dann ja wieder die regionalen Genossenschaften, mit denen wir früher gearbeitet haben." Weshalb sich die Lachfalten von Bauer Blaich noch mal ein wenig tiefer in sein Gesicht zeichnen.