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Festival "Glasperlenspiele" präsentiert facettenreiche Liedkunst / Hesses Werk dient als roter Faden der Konzerte

Literatur trifft Musik – das nennt man dann wohl "Liedkunst". Calw hat seit dem Wochenende ein ganzes Festival für eben diese Liedkunst: "Glasperlenspiele" heißt es. Wie der letzte große Roman von Calws berühmtesten Sohn, Hermann Hesse.

Calw. Und Calws vielleicht irgendwann einmal "berühmteste Tochter" hat’s mit ihrem Mann im Georgenäum aus der Taufe gehoben: Die Pianistin Christine Rahn (oben im Bild, links stehend). Drei Festival-Tage mit drei Konzerten hat sie dafür zusammengestellt, die facettenreicher nicht hätten sein können. Und die auch immer den Bezug zum symbolischen "Schirmherrn" Hermann Hesse herstellten. Denn zu seiner Zeit wurden viele seiner Werke in den Stilen der von ihm durchlebten Epochen vertont – kleine Schätze, die vom Ehepaar Rahn zu diesem Anlass "gehoben" wurden.

Auftakt war am Freitagabend. Die neue "Grande Dame" der Calwer Liedkunst übernahm dafür selbst den Part der Piano-Begleitung für den jungen, aber eindrucksvollen Bariton Samuel Hasselhorn. Der und Christine Rahn kennen sich aus dem Studium.

"Der Hesse" an diesem Abend waren zwei Vertonungen von Justus Hermann Wetzel, die quasi den Auftakt und die Einstimmung bildeten für das Hauptwerk der Liedkunst: "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert. Kein Text von Hesse natürlich, sondern vom Dichter Wilhelm Müller. Aber nicht minder große Literatur seiner Zeit.

Zugegeben: Romantische Liedkunst ist im Zeitalter von Speeddating, Facebook und "Bauer sucht Frau" nicht gerade leicht zu vermitteln. Wer würde sich heute, weil er seine Angebetete nicht bekommt, noch ersäufen – wie der Müller in diesem Lied-Zyklus? Samuel Hasselhorn aber machte mit seinem Gesang diese tiefen Emotionen lebendig, sein Gesicht durchlitt wie seine Stimme jede Nuance dieser vergangenen Tragik – "fifty shades of ganz große Gefühle" sozusagen.

"Man kann bei der Interpretation der ›Müllerin‹ schnell belanglos und kitschig werden", sagte etwa nach dem Konzert ganz treffend Zuhörerin Brunhild aus Bad Wildbad. Aber: "Dieser eindrucksvolle junge Mann hat es perfekt gemacht. Absolut großartig!" Recht hat sie.

Gelungenes Gesamtwerk

Ganz anders im Stil und Wesen dann das zweite Glasperlenspiele-Konzert am Samstagabend. Vier Streicher – das Quartett Vagabond – begleiteten die Sopranistin Hiltrud Kuhlmann. Eine selten gehörte Kombination; für manche so "exotisch", dass – im Ernst – die Erben des Komponisten Richard Strauss Rahn die Erlaubnis verweigerten, die von ihm unter dem Titel "Vier letzte Lieder" vertonten Hesse-Gedichte umzuschreiben. Macht nichts, dachte sich Rahn, und übernahm die Klavier-Begleitung.

Beim dritten Konzert des Lieder-Reigens, der Matinee am gestrigen Sonntag, konnte man dann ganz und gar "in Calw" sein: mit dem hier aufgewachsenen Geschwisterpaar Melania (Klavier) und Daniel Kluge (Tenor). Für sie begann unter anderem im Georgenäum ihre Laufbahn.

Sie begannen ihren Auftritt mit dem "Schwanengesang" von Franz Schubert. Und es gab immer dann Schübe von Gänsehaut beim Schwanengesang, wenn Tenor Daniel seinen gewaltigen Stimmkörper zum grandiosen Heldentenor wachsen lassen durfte.

Aber auch hier – nicht der Stilbruch; die Entwicklung der Liedkunst. Mit den großen Texten eines Hesse eben, die von den tiefsten Emotionen zu erzählen wissen.

"Glasperlenspiele" – ein gelungenes Gesamtkunstwerk im Zeichen der Liedkunst, das Christine Rahn da als Konzept und mit viel gelungenem Organisationseifer als Premiere ihrer Heimatstadt "geschenkt" hat – obwohl Rahn im achten Monat schwanger ist. Jetzt will sie sich erst einmal auf die Geburt ihres Kindes konzentrieren. Und danach? Soll es 2017 eine Neuauflage der Glasperlenspiele geben. Wer die Premiere erleben durfte, wird sagen: Hoffentlich!