Mehr als 100 Zuhörer kamen zum "Zukunftsforum" ins Calwer Landratsamt. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Zukunftsforum: Landkreis Calw gehört im bundesweiten Ranking zu den Aufsteigern des Jahres / 1600 neue Arbeitsplätze

Unter allen Landkreisen in Deutschland so etwas wie "Bayern München", also schier unangefochtener Tabellenführer, zu werden – solcherlei Ambitionen hält auch der Calwer Landrat Helmut Riegger für vermessen. Aber zweitbester Aufsteiger in der deutschen Kreistabelle ist ja auch nicht ohne.

Kreis Calw. Alle drei Jahre wirft das Prognos-Institut ein Blick auf die 402 Kreise in Deutschland und testet sie anhand verschiedener Indikatoren auf ihre Zukunftsfähigkeit hin. Obgleich im wirtschaftlich starken Süden gelegen, landete der Kreis Calw vor sieben Jahren noch im Mittelfeld. Platz 234 – das war der Tiefpunkt. Doch seither, konstatierte der Leiter des Stuttgarter Prognos-Büros, Tobias Koch, vor mehr als 100 Zuhörern beim "Zukunftsforum" im Calwer Landratsamt, sei es dynamisch aufwärts gegangen.

Beim letzten Testzyklus 2016 machte Calw den größten Sprung nach vorne – um 88 Plätze auf Rang 124. Böblingen mit Platz 4 deutschlandweit und Stuttgart mit Rang 7 spielen zwar noch in einer anderen Liga, aber zu Pforzheim (Rang 87) hat der Kreis Calw den Abstand deutlich verringert – und Freudenstadt (Platz 201) weit hinter sich gelassen.

Für Landrat Helmut Riegger ist diese Entwicklung "kein Produkt des Zufalls". Jedes Mal, wenn er mit Ministerien auf Bundes- oder Landesebene um Zuschüsse für seine Projekte wirbt, legt er diese Prognos-Studie auf den Tisch. Ob es um den dreispurigen Ausbau des Bundesstraße B 463 geht oder um flächendeckenden Mobilfunk – stets kann Riegger auf die Prognos-Studie verweisen, die solche Infrastrukturmaßnahmen fordert, um den Kreis weiter voran zu bringen. Für den Kreischef war diese Studie Businessfahrplan und Strategiepapier zugleich geworden.

120 Projekte stieß er in seiner achtjährigen Amtszeit an: von der Gründung der Tourismusgesellschaft Nordschwarzwald – seither hat sich der negative Trend bei den Übernachtungszahlen ins Positive gewandelt – bis zu der Werbekampagne, indem man selbstbewusst mit einem der stärksten Pfunde wucherte, die dieser Landkreis zu bieten hat: seine erfolgreichen Unternehmen und Global Player. 1600 Arbeitsplätze sind in den letzten Jahren entstanden, bilanzierte der Kreischef: "Weil die Unternehmen wieder an den Landkreis Calw glauben."

Gestiegen ist laut Studie auch wieder die Geburtenrate. Wegen der guten Jobangebote wird der Landkreis zunehmend attraktiv für junge Familien. Das spiegelt sich auch in der Bevölkerungsentwicklung: Während der Kreis zuvor Einwohner verlor, geht seit 2011 die Kurve wieder nach oben: plus 4700 Bürger binnen vier Jahren. Es gibt aber nach wie vor Mankos: Beim Wanderungssaldo junger Erwachsener stehen nach wie vor leichte Verluste in der Bevölkerungsbilanz.

Weit auseinander geht nach wie vor die Schere Aus- und Einpendler. Im Jahr 2000 gingen 25 000 Kreisbewohner in einem anderen Landkreis ihrer Arbeit nach, lediglich 9000 Arbeitnehmer pendelten in den Kreis Calw. 2015 stieg die Zahl der Auspendler auf 30 900, die der Einpendler auf 12 700. Der größte Anteil der Auspendler jobbt im Sindelfinger und Böblinger Raum (10 000), in Stuttgart (2500) und in Pforzheim (2000).

Handlungsdruck gibt es laut der Studie auch bei der Verkehrsinfrastruktur: Eine Nagoldquerung zur Anbindung des westlichen Teils des Landkreises steht ebenso auf der Agenda wie der Calwer Tunnel, eine teilweise dreispurige B 463 oder ein Ladetankstellennetz für E-Mobilität.

Von "zentraler Bedeutung" für die Zukunft, so Regionalökonom Koch, sei der Gesundheitssektor. Mit dem Klinikkonzept 2020 und dem geplanten Bau eines Gesundheitscampus in Calw habe man die richtige Weichenstellung vorgenommen, weil man damit stationäres und ambulantes Angebot an einem Standort vereine. Dies habe bundesweiten Modellcharakter. Koch: "Das war progressiv und vorausschauend."

Landrat Riegger weiß indes auch um die Widerstände. Ohne das Thema Krankenhaus konkret angesprochen zu haben, sprach er in seiner Begrüßung allgemein von "zentralen Weichenstellungen, die man umsetzen muss und nicht beim kleinsten Widerstand umfallen darf."

Später wurde er konkreter – und noch deutlicher: "Wir bauen in Calw ein neues Krankenhaus. Wenn wir’s nicht machen, gibt es in Calw kein Krankenhaus mehr. Wir können noch zwei, drei Jahre so weiter machen, dann wird Stuttgart es zumachen. Eine Alternative gibt es leider nicht."

u Calw

Einen gänzlich ungewöhnlichen Blick in die Zukunft warf beim Zukunftsforum im Landratsamt der Volkswirt und Zukunftsforscher Erik Händeler. Geist- und pointenreich stellte er die wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit in andere Zusammenhänge. Seine Grundthese: "Veränderungen passieren nicht aus Jux und Tollerei, sondern aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus." Nicht die Technik sei in Zukunft das größte Kapital, sondern die physische und seelische Gesundheit der Gesellschaft. Und eben ein Mangel an Gesundheit werde zu Veränderungen führen.

Händeler: "Wir brauchen kein anderes Wirtschaftssystem. Wir müssen die Wertschöpfungen in der gedachten Welt erschließen." Die entscheidende Frage in der Wissengesellschaft sei, wie man Gedankenarbeit effizienter mache und gleichzeitig die Menschen so lange wie möglich gesund in Arbeit halte: "Das ist die Grundlage unseres Wohlstandes." Und nicht hart zu arbeiten, entscheide über die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, sondern Wissen richtig einzuordnen. Die Kultur und die Weltanschauung des jeweiligen Landes sei dafür mitentscheidend: "Die kulturellen Maßstäbe machen den Unterschied." Die Digitalisierung und damit drohende Arbeitsplatzverluste sieht der Zukunftsforscher eher gelassen: "Die Welt wird besser, weil sie immer schon besser geworden ist."