Foto: Schwarzwälder-Bote

Die feigen und brutalen Morde in Paris haben ihr Ziel –

Die feigen und brutalen Morde in Paris haben ihr Ziel – Gott sei Dank – nicht erreicht. Weder wurde die Politik destabilisiert, noch eskalierte das Verhältnis zu den Muslimen, noch erstarrte die europäische Presse in Angst. Im Gegenteil: selten gab es so gute und sachliche Diskussionen über den Islam, mit Muslimen, über Demokratie und Pressefreiheit.

"Zufällig" lautet nun das Leitwort für nächsten Sonntag: "Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden" (Johannesevangelium 1,17).

Wir werden daran erinnert, dass es eine "gesetzliche" Religion gibt, in der hier in dieser Welt das "Heilige" vermeintlich erkennbar und greifbar ist. Deshalb kann man scheinbar eine "Achse des Bösen" festlegen, kann Gläubige und Ungläubige unterscheiden, das "Böse" angeblich austreiben mit zum Beispiel 20 mal 50 Peitschenhieben an Raif Badawi durch den saudischen Staatsterrorismus, oder mit US-amerikanischen Folterverbrechen.

Aber: Vergessen wir Christen bitte nie, dass wir in unserer eigenen Geschichte viel zu oft solch tödlichen Irrtümern verfallen sind: bei der Inquisition, dem „"Ketzerprozess" gegen Jan Hus in Konstanz, dem Terror des 30jährigen Krieges, den Hexenverfolgungen, der Apartheidspolitik in Südafrika und den "deutschen Christen", die Hitlers Terror direkt oder indirekt unterstützten.

Die Erinnerung daran ist so wichtig, weil wir uns zugleich daran erinnern können (müssen), wie diese Art Irrtümer überwunden wurden: durch Widerstand, durch engagierten, langen und leidvollen Streit innerhalb der Christenheit um den richtigen Weg, die Wahrheit.

Es ist eine Grunderkenntnis im christlichen Glauben, wie in jeder Religion, dass Gottes Anwesenheit im Leben nicht durch Macht und Gewalt gesichert werden kann. Sie wird vielmehr erfahren durch Gebet und Vertrauen. Der innerislamische Streit um diese Grundsatzfrage hat begonnen, hoffentlich wird er immer lebendiger.

Wenn Winfried Kretschmann die Wahl des Wortes "Lügenpresse" zum "Unwort des Jahres" diesen Dienstag begrüßt hat, stimmt ihm gerne jeder zu, weil dieses Wort aus der Propaganda der Nationalsozialisten stammt. Wenn der Ministerpräsident aber zugleich die Pegida-Demonstranten pauschal als islamfeindlich einstuft und ihnen "totale Verwirrung" attestiert, dann ist das schade, weil weit entfernt von der Sachlichkeit und Differenziertheit, die zu einer Bewältigung von Pegida "in Wahrheit" notwendig ist. Man muss sie nicht mögen, aber die Demonstranten stammen – so eine Untersuchung der TU Dresden – wirklich aus der Mitte der Gesellschaft. Nur 25 Prozent von ihnen stehen dem Islam kritisch gegenüber, aber: mehr als 50 Prozent sind unzufrieden mit der Politik. Das ist die (bittere) Wahrheit.

Die Wahrheit hat es mit uns, und wir haben’s mit ihr oft schwer. "Wir haben geweint", berichtet ein Journalist von Charlie Hebdo über die Arbeit an der neuen Ausgabe des Blattes, "aber die Tränen haben uns den Weg gewiesen". So heißt es auf der Titelseite: "Tout est pardonné" (Alles ist vergeben).

Musste man dazu den Propheten Mohammed abbilden?! Für das Empfinden von Muslimen ist das ein Sakrileg. Lässt man das einmal dahingestellt, bleibt dennoch ein wichtiger Hinweis, der ur-christlich ist:

Zu allen Zeiten ist "Wahrheit" nur in Verbindung mit "Gnade", mit Vergebung zu haben. Zu denen, die ihn kreuzigten, sagte Jesus "je pardonne – ich vergebe".

Eine nachdenkliche Woche wünscht Ihnen Klaus D. Wachlin.

Klaus D. Wachlin ist Pfarrer in Neuhengstett und Ottenbronn