Slavica Djukic-Herzog mit Sohn Nikola (links), Rene Herzog mit Lara, die das Logo des Vereins "Chance zum Leben – ALS" hält, sowie Renes Mama Johanna Herzog. Foto: Störzer Foto: Schwarzwälder-Bote

Nervenerkrankung: Rene Herzog kämpft nach ALS-Diagnose um seine Lebensqualität

Von Sonja Störzer

Calw-Hirsau. Im Mai 2015 bricht für Rene Herzog und seine Familie eine Welt zusammen. Bei dem damals 27-jährigen Vater wird eine seltene Nervenkrankheit diagnostiziert. Damit ist er einer von schätzungsweise rund 6000 Erkrankten in Deutschland.

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) – so einer der zahlreichen Namen der Krankheit, an der Herzog leidet – führt zu einer vollständigen Lähmung der Muskeln. Das kann soweit gehen, dass der Mensch schließlich bei vollem Bewusstsein ein Gefangener in seinem eigenen, nicht mehr funktionierenden Körper ist. Prominentes Beispiel dafür: Astrophysiker Stephen Hawking. "So sollen mich meine Kinder nicht sehen", verpackt Herzog seine trübsinnigsten Gedanken in Worte, die derzeit gegen die Druckbeatmung sprechen. Bewegung, Sprache, Atmung: Alles baut Schlag auf Schlag ab. "Die Krankheit ist im Moment tödlich", lautet die nüchterne Einsicht Herzogs, der über den Stand der Forschung voll im Bilde ist.

Noch vor kurzem stand er mitten im Leben. Er war Kfz-Mechaniker mit Leib und Seele, machte sein Hobby zum Beruf. Von heute auf morgen wurde er aus seinem gewohnten Leben gerissen. Nun ist er seit Oktober 2015 Rentner.

Die ersten Symptome

2014 fing alles an. "Ein oder anderthalb Jahre vor der Diagnose hatte ich öfters Muskelzucken. Da hat sich keiner was dabei gedacht. Ich habe einfach Magnesium eingeworfen", so Herzog rückblickend. "Dann hatte ich unregelmäßig Muskelkrämpfe im Fuß, die mich aus dem Schlaf gerissen haben." Er dachte der Nerv sei eingeklemmt. 2010 hatte Herzog zudem einen schweren Autounfall. "Ich bin nur knapp am Querschnitt vorbeigeschrammt. Vielleicht sind das noch Auswirkungen davon", war damals seine Vermutung. Ebenso hätte es mit der Hirnhautentzündung zusammenhängen können, an der er ein paar Jahren zuvor litt.

Es wurde schlimmer. "Manchmal rannte ich meinen Kindern hinterher und stolperte immer mit dem rechten Fuß", erzählt er von der Anfangsphase. Starkes Humpeln folgte. "Meine Kollegen machten noch Witze darüber. Sie nannten mich Humpelstilzchen", so Herzog.

Daraufhin begann eine Aneinanderreihung von Arztbesuchen: Im Januar 2015 ging er zum Orthopäden, im März dann zum Neurologen. Von der Klinik für Neurologie in Calw wurde er an die Uniklinik Ulm geschickt. Auch in Tübingen ließ er sich untersuchen. Diagnose: ALS.

Es zehrt an den Kräften

Im Juni 2015 beantragte Rene Herzog seinen Behindertenausweis. Das Landratsamt hat sich jedoch nicht sofort darum gekümmert. Er macht den Mitarbeitern keine Vorwürfe: "Die haben ihre Vorschriften." Die deutsche Bürokratie jedoch treibt ihn zur Verzweiflung. "Unser System ist völlig Banane", kritisiert Herzog. "Man sieht das Einzelschicksal nicht. Wer ist denn für uns Behinderte da und füllt mit uns Formulare aus?"

Der Anfang Februar beantragte Elektrorollstuhl kam diese Woche endlich an. Es ist jedoch nicht ideal für ihn. "Im neueren Stuhl stecken zehn Jahre mehr Erfahrung." Er wird Widerspruch einlegen. "Ich will immer nur das beste Hilfsmittel für mich", erklärt Herzog mit entschlossener Stimme. "Wenn Geld keine Rolle spielen würde", fantasiert er. Der behindertengerechte Badezimmerumbau ist gerade erst abgeschlossen, da steht schon die nächste Anschaffung aus: Ein Auto, in das sein Rollstuhl passt. Doch dafür reicht das Geld nicht.

"Manche Gegebenheiten fallen einem erst auf, wenn man behindert ist", erkennt Herzog selbst. Am Zebrastreifen in Hirsau ist beispielsweise die eine Seite des Bordsteins gesenkt, die andere Seite nicht. Als Rollstuhlfahrer kommt man also gar nicht drüber. Mit einem Augenzwinkern meint der 28-Jährige: "Da muss ich wohl persönlich zu Oberbürgermeister Ralf Eggert gehen."

Es zehrt an seinen Kräften: "Man muss bei allem, was man braucht, betteln. Jetzt kann ich mich noch artikulieren, aber das kann sich schlagartig ändern." Daher will Herzog jetzt so viel wie möglich bewirken. "Wenn du keine Zeit hast, kannst du nicht auf alles warten."

Die Krankheit belastet die ganze Familie. "Meine Frau weint mehr als ich. Ich verdrücke meine Tränen still und heimlich." Momentan geht er noch nicht zum Psychologen. "Ich lauf aber am Limit."

Seine Frau Slavica Djukic-Herzog will er am 6. August in Serbien, ihrer Heimat, kirchlich heiraten. "Slavi möchte in einem weißen Kleid vor den Altar treten." Er weiß, dass seine Frau, mit der er fünfeinhalb Jahre zusammen ist, viel für ihn tut. Trotzdem liegen sie sich seit dem Befund öfters in den Haaren. "Man sitzt viel aufeinander", begründet es Herzog. "Es ist ein Fulltime-Job", weiß auch Renes Mutter Johanna Herzog: "Hut ab!"