Martina Bühler, Andreas Reichstein, Andreas Kubesch, Dieter Raschko, Thomas Poreski und Johannes Schwarz (von links) diskutierten im Haus Schüz das Thema "Armut im reichen Deutschland". Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder-Bote

Podiumsdiskussion: Referenten sind sich einig: Existenzsichernde Löhne müssen gezahlt werden

Während im Hamburg rund um das G-20-Treffen heftig gegen die weltweite Armut demonstriert wird, griffen in Calw auf Einladung der Kreisgrünen einige Fachleute die im Sozial- bereich tätig sind, die "Armut im reichen Deutschland" auf.

Calw. Martina Bühler, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Calw, Pfarrer Dieter Raschko, der Initiator der Calwer Vesperkirche, Andreas Reichstein, Geschäftsführer der Erlacher Höhe für Calw und Nagold, sowie der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Landtag Baden-Württemberg, Thomas Poreski, gingen dabei im Haus Schüz auch auf Fragen der Zuhörer ein.

Schere weit geöffnet

Die Referenten waren sich einig darüber, dass die Schere zwischen Arm und Reich derzeit besonders weit geöffnet ist. Zu befürchten sei zudem, dass die Digitalisierung künftig viele bislang sichere Arbeitsplätze vernichten würde, unterstrich der Althengstetter Ingenieur Philipp Jourdan.

"Jeder fünfte Deutsche war im vergangenen Jahr nicht in der finanziellen Lage, auch nur einen einwöchigen Urlaub zu verbringen", wusste ein Besucher. "Die Statistiken sagen, dass die Einkommen immer noch weiter aus- einandergehen", hob der Vor- sitzender der Grünen-Kreistagsfraktion, Johannes Schwarz, hervor. Hauptsächlich aus Scham bei den Betroffenen sei die Armut dieser Menschen öffentlich kaum wahrzunehmen. Raschko berichtete davon, dass sich immer wieder notleidende Menschen an ihn wenden. "Es ist uns schnell aufgefallen, dass Calw diesbezüglich ein Brennpunkt ist", hob er hervor und fügte hinzu: "Wir müssen hier den Spagat machen zwischen Weihnachtsoratorium und Arbeitslosencafé".

Der grüne Bundestagskandidat für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt, Andreas Kubesch, wartete mit Zahlen auf. Deutschland liege beim durchschnittlichem Einkommen weltweit an 18. Stelle. Wenn man die acht Billionen Euro im Besitz der Deutschen statistisch teile, würde jeder 100 000 Euro Vermögen haben. Auch die gängige Definition, Armut beginne da, wo weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung stehen, wurde in Frage gestellt. Raschko macht sich Sorgen darüber, dass mangelnde wirtschaftliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben die Menschen radikalisieren und die Demokratie beschädigen könne. Spenden seien zwar stets gut gemeint, sie würden jedoch als Almosen empfunden und änderten nichts an der Grundsituationen der bedürftigen Menschen.

Heftige Kritik wurde zudem daran geübt, dass international agierende Firmen sich um die Abgabe von Steuern drückten. "Sie bedienen sich hier und wollen nichts dazu beitragen, dass dieser Staat funktioniert", kritisierte Reichstein. Der Staat habe zu- gelassen, dass die Armutsquote immer mehr gestiegen sei. Der Regelsatz von 13,46 Euro pro Tag bei Hartz IV-Bezug reiche niemals aus, um eine nötig gewordene Brille, ein Hörgerät oder dringend not- wendigen Zahnersatz zu finanzieren.

Keine Wohnung

"30 000 Menschen haben in Baden-Württemberg keine Wohnung, davon lebt die Hälfte in Obdachlosenunter- künften", bemängelte Reichstein. Sozialpädagogin Bühler nannte das Bildungspaket, nachdem Kinder aus bedürftigen Familien einige Euro monatlich für Bildungszwecke erhalten, eine reine "Mogelpackung". Reichstein verwies darauf, dass die Obdachloseneinrichtungen im Land derzeit überfüllt seien. In der Calwer Einrichtung seien jetzt sogar alle Notunterkünfte belegt und acht Menschen stünden derzeit auf der Warteliste.

„Wir brauchen existenzsichernde Löhne", forderte Raschko. Eine Besucherin berichtete davon, dass sie von 300 Euro Rente leben müsse. Nach einer psychischen Erkrankung war sie lange Zeit obdachlos und ist dann beim Sozialunternehmen Erlacher Höhe in der Hesse-Stadt untergekommen. Dort kann sie jetzt zumindest bis zu zwei Jahren menschenwürdig leben.

Die Referenten waren sich darin einig, dass Bürokratie abgebaut und existenzsichernde Löhne gezahlt werden müssten. Außerdem wurden das bedingungslose Grundeinkommen sowie die Bürgerversicherung für alle gefordert.