FußballObmann der Schiedsrichtergruppe Calw schlägt Alarm: Personalmangel könnte Auswirkungen auf den Spielbetrieb haben

"Der Spielbetrieb ist zum Rückrundenstart wegen Schiedsrichtermangel im Bereich der Schiedsrichtergruppe Calw stark gefährdet" – mit dieser Aussage sorgt Obmann Erich Frey knapp einen Monat vor dem Ende der Winterpause für Furore.

Die Zahlen belegen, dass der Chef der Schiedsrichter im Kreis Calw die Alarmglocke nicht umsonst läutet: Die ohnehin zu niedrige Zahl der Unparteiischen ist zuletzt von 127 von 116 gesunken, von denen lediglich 90 am Wochenende zur Verfügung stehen. Die 47 Fußballvereine im Kreis Calw zahlen wiederum immer mehr Bußgelder an den Württembergischen Fußballverband, weil sie zu wenige Schiedsrichter stellen – 7400 Euro waren es in der vergangenen Saison, dieses Jahr werden es laut Frey etwa 8500 Euro sein.

Am 4. März bietet die Schiedsrichtergruppe Calw im Sportheim der Spvgg Bad Teinach/Zavelstein wieder einen Kurs an, um neue Unparteiische auszubilden. Was passiert, wenn der wegen Teilnehmermangel abgesagt werden muss, und wie dramatisch die Situation des 23. Mannes im Kreis Calw ist, stellt Erich Frey im Interview dar.

Herr Frey, Sie sagen, dass der Rückrundenstart wegen Schiedsrichter-Mangel stark gefährdet ist. Das klingt sehr dramatisch?

Wir haben in den vergangenen Monaten verletzungs- und altersbedingt viele Schiedsrichter verloren, andere sind für uns zwecks Studium oder Abitur nicht mehr greifbar. Den Spielbetrieb können wir mit unserer jetzigen Zahl an Schiedsrichtern damit nicht mehr aufrecht erhalten – zumal die Schiedsrichter, die in der Vergangenheit an den Wochenenden Doppel- oder sogar Dreifach-Einsätze in Kauf genommen haben, dazu nicht mehr bereit sind.

Welche Spiele sind akut gefährdet?

Vor allem der Frauen- und Mädchen-Bereich. Wir haben festgestellt, dass hier die Zahl der Mannschaften durch den Boom der Frauen-EM immer weiter gewachsen ist. Wir müssen inzwischen allein im Frauen- und Mädchen-Bereich jedes Wochenende zehn bis zwölf Spiele besetzen. Genauso betroffen ist aber auch der Jugend-Bereich. Die A-Jugend spielt grundsätzlich samstags. Wir haben aber relativ wenige Schiedsrichter, die samstags und sonntags Spiele leiten wollen. Man wird damit leben müssen, dass der 23. Mann nicht mehr überall erscheinen wird.

Glauben Sie, dass den Vereinen bewusst ist, wie dramatisch die Situation ist?

Den Vereinen wird das schon klar sein. Ich kann auch verstehen, dass sie selber Schwierigkeiten haben, Leute zu finden, die in ihren Fußball-Abteilungen ein Amt übernehmen. Aber es ist schon lange bekannt, wie es um den Schiedsrichterstand steht. Das Problem ist nicht neu. Die Vereine kümmern sich meiner Meinung nach nur zu wenig darum. Es zeigt sich immer häufiger, dass sie am Jahresende lieber Bußgelder nach Stuttgart überweisen. Damit ist für sie die Sache abgehakt.

Was müssten die Vereine stattdessen tun?

Wir wissen, dass es schwierig ist, Personen zu finden, die Schiedsrichter werden wollen. Aber wenn sie gefunden sind, müssen sie wie die eigenen Spieler behandelt werden. Der Schiedsrichter muss spüren, dass er genauso zum Verein gehört. Für einen Spieler wird alles getan und alles gemacht. Aber beim Schiedsrichter wissen die Vereine meiner Meinung nach zu 90 Prozent überhaupt nicht, was der die ganze Runde alles erledigt und welche Arbeit er leistet.

Hat das Schiedsrichterwesen generell einen zu niedrigen Stellenwert? Der Ton auf den Sportplätzen scheint zumindest rauer zu werden.

Die Gewalt und die Aggressionen nehmen gerade im unteren Bereich zu. Ich bin jetzt seit 21 Jahren Obmann und kann mich nicht erinnern, dass früher die Gewalt in der C- oder D-Jugend eine Rolle gespielt hat. Inzwischen gibt es die aber sogar in der E-Jugend.

Woher kommt das?

Die Vereine haben Probleme, geeignete und gut ausgebildete Trainer zu finden, die ihre Spieler auf solche Situation vorbereiten und sie dann auch in die Pflicht nehmen, wenn etwas passiert. Mir kommt es so vor, dass man Hauptsache eine Mannschaft hat und die spielen lässt, egal was passiert. Es gehört aber auch Respekt gegenüber dem 23. Mann dazu. Jeder macht mal Fehler. Wenn der Spieler zehnmal am Tor vorbeischießt, ist es halt kein Tor. Aber wenn der Schiedsrichter einmal zu früh pfeift, dann geht die Welt unter. Das ist der falsche Ansatz. Wir sitzen alle im gleichen Boot.

Momentan gibt es in Ihrer Gruppe 116 aktive Schiedsrichter. Wie viele brauchen sie, um den vollen Spielbetrieb zu garantieren?

Da gibt es eine klare Auswertung: Im Kreis Calw mit seinen 47 am Spielbetrieb teilnehmenden Vereinen müssten 180 Schiedsrichter zur Verfügung stehen. Im gesamten Fußballbezirk Böblingen/Calw fehlen 130 Schiedsrichter.

Warum sollte man Schiedsrichter werden?

Da gibt es viele gute Argumente. Der Schiedsrichter bestimmt, was die 22 Leute auf dem Feld zu tun haben. Er allein. Er ist der Chef. Natürlich muss er dabei die Regeln berücksichtigen. Außerdem kommt man viel herum, sieht viel Neues und kann mit seinem Schiedsrichterausweis alle Bundesliga-Spiele kostenlos besuchen. Und man hat keinen Trainingsstress und steht bei seinem Verein nicht in der Kritik, wenn die Leistung nicht stimmt.

Bei der Hauptversammlung der Schiedsrichtergruppe Calw haben Sie gesagt, Sie suchen nun im Frauen-Bereich verstärkt nach weiblichen Schiedsrichtern?

Das ist uns tatsächlich schon lange ein großer Dorn im Auge, dass wir das nicht so in Angriff nehmen können, wie wir uns das vorstellen. Uns fehlt hier einfach eine Person, die das in die Hand nimmt. Aber wir sind da hinterher. Im Bezirk Böblingen/Calw nehmen 27 Frauen- und Mädchenmannschaften am Spielbetrieb teil, die übrigens keine einzige Schiedsrichterin stellen. Wir haben ohnehin nur drei weibliche Schiedsrichter. Die würden sich sehr über Verstärkung freuen.

Was passiert eigentlich, wenn kein Schiedsrichter bei einem Spiel erscheint?

Im Jugend-Bereich sagt die Satzung, dass bei allen Spielen bis zur Bezirksstaffel der Heimverein dafür verantwortlich ist, dass das Spiel durchgeführt werden kann. Beide Vereine müssen sich dann auf einen Schiedsrichter einigen, falls kein geprüfter vor Ort ist. Das kann auch ein normaler Zuschauer sein. Können sie sich nicht einigen, wird das Spiel im Normalfall für beide Vereine mit einer Niederlage gewertet. Im Frauen-Bereich habe ich noch nicht nachlesen können, ob es ein Urteil oder ein Wiederholungsspiel gibt.

Am 4. März soll es wieder einen Neulingskurs geben. Wie optimistisch sind Sie, dass der stattfinden wird?

Ich bin optimistisch, auch wenn es immer schwieriger wird. Schon vergangenes Jahr hatten wir Riesen-Probleme und der Neulingskurs konnte nur stattfinden, weil unser Bezirksvorsitzender Richard Armbruster die Vereine mehrfach angesprochen hat. Wenn der Kurs nicht stattfinden kann, wird uns das zwar nicht diese Runde, aber die kommenden Jahre treffen. Welche Spielklassen wir dann noch besetzen können, ist offen.

Also könnte es auch

irgendwann den Herren-

Bereich treffen?

Der Trend ist klar: Der Schiedsrichter-Bestand ist in Württemberg im vergangenen Jahr von 6800 auf 6600 zurückgegangen. Wir verlieren mehr als wir ausbilden. Der WFV hat zuletzt 2500 Schiedsrichter ausgebildet und 2700 verloren. Darum muss man sehen: Die Schiedsrichter bei der Stange zu halten ist das Wichtigste und da sind die Vereine gefordert.

Aber wie realistisch ist es tatsächlich, dass künftig auch Spiele im Herren-Bereich nicht mit Schiedsrichtern besetzt werden können?

Das könnte passieren, weil der Trend bei allen Schiedsrichtergruppen im Verband nach unten zeigt. Dann wird es so kommen, dass bei dem ein oder anderen Spiel in der Kreiliga A und B, vielleicht auch in der Bezirksliga kein Schiedsrichter erscheinen wird. Das ist nicht ausgeschlossen. u  Die Fragen stellte Tim Geideck.