Radarkuppeln (Radome) auf dem Gelände der BND-Station in Bad Aibling Foto: dpa

Die Affäre um den BND zieht immer weitere Kreise: Der Bundesnachrichtendienst soll der NSA geholfen haben, Daten auszuspähen. In Berlin herrscht Hektik. Fragen und Antworten.

Worum geht es?

Die Affäre um Ausspähungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) für den US-Geheimdienst NSA entzweit die Koalition. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte am Dienstag mehr Verständnis für die Arbeit von Geheimdiensten an. Die Union warf der SPD in Berlin Hysterie vor. Nach Ansicht der Opposition könnten die bisher bekannten BND-Aktivitäten nur die Spitze eines Eisbergs sein. Mit Spannung erwartet werden die Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière und Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor den Geheimdienstkontrolleuren des Bundestags, dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), an diesem Mittwoch.

Wie lautet der Vorwurf?
Der BND soll der NSA geholfen haben, Daten europäischer Unternehmen und Politiker auszuspähen. Die NSA soll dem BND nicht nur unproblematische Suchkriterien wie IP-Adressen oder Handynummern zur Terrorabwehr gegeben haben – sondern in großem Stil auch Daten, die zu Firmen und offiziellen Stellen in der EU gehören.
Was sagt die Union?
CDU/CSU warfen der SPD Skandalisierung und Nervosität wegen ihres Umfragetiefs vor, nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel in scharfem Ton Aufklärung gefordert hatte. „Die aktuellen Fragen sollten eigentlich keine sein, um sich parteipolitisch zu profilieren und um für die eigene Partei Geländegewinne erzielen zu wollen. Dazu ist das Thema zu sensibel“, sagte CDU-Landeschef Thomas Strobl, der auch Fraktionsvize der Union im Bundestag ist, unserer Zeitung. Angesichts der internationalen Lage mit ihren vielen Krisenherden dürfe man nicht vergessen: Dank der Arbeit der Dienste und der Polizei konnten furchtbare Terroranschläge in Deutschland bisher verhindert werden, betonte er. „Wer jetzt parteipolitischen Honig saugen will, ist kurzsichtig und verantwortungslos.
Die richtige Reihenfolge heißt: aufklären, bewerten, Schlussfolgerungen ziehen. Alles andere ist unseriös und Schmarrn.“ In der CDU-Fraktion wächst derweil der Unmut über den Koalitionspartner. In der Fraktionssitzung am Dienstag streute Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nach Informationen unserer Zeitung eine gezielte kleine Drohung in seine Ausführungen. Erst am Ende, wenn alle Fakten auf dem Tisch lägen, müsse über die Konsequenzen gesprochen werden, sagte er. Das gelte „für den NSA-Untersuchungsausschuss wie für den Edathy-Ausschuss“.
Die Botschaft ist klar: Wenn die SPD weiter gegen das Kanzleramt Druck macht, wird sich die CDU doch wieder stärker mit der seltsamen Rolle von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der Angelegenheit Edathy befassen. Auffallend, dass Oppermann in der SPD am Dienstag prompt der Einzige war, der sich bemühte, den Streit nicht eskalieren zu lassen.
Was sagt die SPD?

Der SPD-Vize Ralf Stegner sagte unserer Zeitung: „Bei der Union ist eine gewisse Sorge zu spüren, dass an den im Raum stehenden Vorwürfen etwas dran sein könnte. Sie ist gewöhnt daran, dass an der Kanzlerin alles abprallt. Nun haben wir eine Situation, in der es zwei Möglichkeiten gibt: Entweder die Bundesregierung wusste von den Vorgängen nichts, weil im Kanzleramt ein Tohuwabohu herrschte.“

Aber die Letztverantwortung für die Aufsicht der Dienste liege eben im Kanzleramt, also bei Angela Merkel. „Oder sie ist eben doch frühzeitig über Hinweise über Wirtschaftsspionage informiert gewesen. Das unterstellen wir als SPD wohlgemerkt keineswegs. Wir halten uns an die Auskunft, die Frau Merkel Herrn Gabriel gegeben hat.“ Spätestens nach den Snowden-Enthüllungen müsste man doch aktiv nachforschen, was beim BND los ist. „Snowden wurden ja nie Falschaussagen vorgeworfen – sondern Geheimnisverrat.“ Da interessiere schon, wie Ronald Pofalla (CDU) und sein Nachfolger als Kanzleramtsminister, Peter Altmaier (CDU), ihre Aufsichtspflicht wahrgenommen haben.

Wie bewertet die Wirtschaft die Affäre?

Für deutsche Topkonzerne oder hoch spezialisierte Mittelständler ist es keine Überraschung, dass Spione in Diensten ausländischer Regierungen herausfinden wollen, was ihre Ingenieure in Stuttgart, Wolfsburg oder München für geheime Ideen entwickeln. Besonders beliebte Ziele sind Rüstungs- und Technologiefirmen. Der volkswirtschaftliche Schaden durch die Schnüffelei wird von der Bundesregierung auf etwa 50 Milliarden Euro geschätzt – pro Jahr. Die Dunkelziffer ist hoch.
 
Dass die NSA die Anti-Terror-Kooperation mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND aber jahrelang genutzt haben soll, um quasi als Beifang Wirtschaftsspionage in Europa zu betreiben, sorgt in den Chefetagen für Empörung. „Wirtschaftsspionage, und diese durch unseren eigenen Nachrichtendienst als ‚Zulieferer‘ Amerikas, wäre ein Skandal sondergleichen“, erklärte der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, Peter Kulitz. „Baden-Württemberg ist als Land mit der bundesweit höchsten Patentdichte von dieser Frage besonders betroffen“, schrieb Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) in einem Brandbrief an Kanzlerin Merkel.
Wie reagiert das Kanzleramt?
Solche Gefühlsausbrüche deutscher Spitzenmanager in einer laufenden politischen Affäre sind äußerst selten – so verwundert es nicht, dass Kanzleramtsminister Altmaier sich umgehend bemühte, die Spitzen der Wirtschaft zu besänftigen. Die Industrie will sofort informiert werden, falls sich doch noch herausstellen sollte, dass auch deutsche Konzerne von der NSA über die BND-Schiene ausgespäht wurden. Nachdem die NSA-Affäre vor knapp zwei Jahren von Snowden ins Rollen gebracht worden war, hatte der zuständige Verfassungsschutz eine Sonderauswertung veranlasst, um die Vorwürfe von Wirtschaftsspionage zu prüfen. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion vom August 2014 schrieb die Regierung seinerzeit: „Die US-Regierung hat der Bundesregierung mehrfach versichert, dass die dortigen Dienste keine Wirtschaftsspionage betreiben.“
Und was ist eigentlich mit TTIP oder den Ermittlungen der EU-Kommission gegen den Internetriesen Google?
Sollte die NSA in Brüssel und anderen Hauptstädten gezielt Top-Politiker und Diplomaten ausforschen, wäre es nicht besonders abwegig zu glauben, dass die Amerikaner gerne frühzeitig über die Verhandlungsposition der Europäer im transatlantischen Ringen über das weltgrößte Freihandelsabkommen oder drohende Milliardenstrafen gegen Google im Bilde sein wollen. „Dass der BND den Amerikanern geholfen haben könnte, die TTIP-Verhandlungen auszuspähen, wäre ein europäischer Skandal erster Güte“, meint der Chef der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer. Dazu sind bislang aber keine belastbaren Hinweise bekannt.