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Karfreitagskonzert mit Untertönen

Von Karina Eyrich

Mit einer großartigen, raumgreifenden Komposition hat Komponist und Organist Oliver Geiger das Konzert zur Sterbestunde Jesu am Karfreitag gekrönt – obwohl das kaum mehr nötig war.

Bitz. Darf ein Christ die Sterbestunde Jesu genießen? Darf er am Ende klatschen? Die Zuhörer in der Nikolauskirche kamen gestern gar nicht umhin, so gelungen, so stimmig war das, was Sopranistin Ursula Wiedmann, Organist Oliver Geiger und Pfarrerin Bärbel Danner als Lektorin ihnen im Karfreitagskonzert geboten haben.

Schon die Liturgie war den Kirchenbesuch wert, interpretierte Bärbel Danner die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz doch so zeitgemäß und gedanklich anregend, dass jeder Zuhörer noch einen echten Mehrwert mit nach Hause nehmen konnte. "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" sei eine Bitte um Vergebung für die Mörder und Folterknechte, und Jesu Feindesliebe sei ebenso wenig tot zu kriegen wie die Liebe Gottes zu den Menschen.

"Wahrlich, ich sage Dir: Noch heute wirst Du mit mir im Paradiese sein" sei der Trost für einen Menschen, der sein Tun bereue, und mit dem Satz "Frau, das ist Dein Sohn, siehe, das ist Deine Mutter" habe Jesus eine neue Gemeinschaft gestiftet, seinen Getreuen neue Aufgaben gegeben, damit sie ihre Trauer überwinden konnten.

"Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" hat wohl jeder schon einmal gefragt

"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" – ein Satz, den wohl jeder der Zuhörer schon einmal gesagt hat – zeige, dass selbst sein Sohn an der Verborgenheit Gottes leide. Und dass er für alle Menschen die Einsamkeit im Tod ertrage. Hoffnungsvolle Untertöne transportierte der Gesang Ursula Wiedmanns. Ihr Sopran ist kräftig und klar wie eine Fanfare, ihre Artikulation schlicht brillant – sie geht einher mit ihrem Ausdruck: Wiedmann singt mit ganzem Körper, zeigt dabei Haltung und gibt mit ihrer – vor allem in den tieferen Lagen sehr warmen – Stimme dem Karfreitag einen hoffnungsvollen Charakter bei Felix Mendelssohn-Bartholdys "Sei stille dem Herrn", Georg Friedrich Händels "Er weidet seine Herde" und "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" – beides aus dem "Messias" – sowie Johann Sebastian Bachs "Du bist bei mir".

Einzig "Zerfließe, mein Herze" aus der prägnanten Johannes-Passion des Thomaskantors und sein trauerndes Lied "Es ist vollbracht" zeigen ganz die düstere Seite des dunkelsten Tages in der Geschichte der Christenheit.

Diesen in allen Tönen zu malen, ist Oliver Geiger mit seiner erst einen Monat alten Komposition "Fantasia passionata e dolorosa" vortrefflich gelungen: Düstere, quälend langgezogene Akkordfolgen in Moll machen das quälend lange Leiden des Herrn deutlich. Plötzlich Polyfonie: Musik wie das Gewitter, der schwarze Himmel um die neunte Stunde, die ganze Dramatik der Todesstunde Jesu, die fließend übergeht in schnelle Klangkaskaden. Wofür stehen sie? Für die Seele Christi, die zum Himmel empor steigt, oder für die Hoffnungen der Menschen, die sich an sie binden?

Erdverbundes, weniger aus dem Rahmen Fallendes löst die avantgardistischen Melodien des ersten Teils ab, bleiben die Menschen in ihrer Trauer doch zurück auf der Erde, dem Boden der Tatsachen.

Noch einmal wird Geiger dramatisch, wieder fließen die Klangkaskaden – und reißen plötzlich ab. Leise, fast wimmernde, bleischwere Akkorde symbolisieren: Es ist vollbracht.

Welch ein feinfühliger, erzählerisch begabter Komponist und Organist Oliver Geiger doch ist: Selbst wer nicht weiß, dass dieses Werk zum Karfreitag gehört, kann es keinem anderen Ereignis zuordnen.

Die Hände greifen ineinander wie das Tun des Menschen und das Wirken Gottes

Geiger – ansonsten sensibler Begleiter Ursula Wiedmanns an der Orgel – hat noch eine zweite Eigenkomposition mitgebracht: "Cantabile Es-Dur", schon ein bisschen älter. Ein sanftes Werk in leichtem Moll mit tröstender Kraft, denn immer wieder wechseln Melodie- und Begleithand auch ins Dur. Auffallend: Der Klang reißt nie ab. Ein Symbol für die Liebe Gottes? Das Tun der Hände auf den Manualen greift ineinander wie das Tun des Menschen und das Wirken Gottes in der Etage darüber. Und eines ist sicher: Als Oliver Geiger die beiden Werke komponiert hat, muss es genau so gewesen sein.