Schwester Silvia Pauli mit Regisseur Lukas Zünd und Kameramann Arjun Talwar bei Filmaufnahmen auf dem KZ-Geschichtslehrpfad Bisingen. Foto: Mayer

Schweizer Ordensschwester dreht Film über NS-Vergangenheit ihres Großvaters in Bisingen.

Bisingen - Oft hat erst die dritte, die Enkelgeneration, den Mut, sich der eigenen Familiengeschichte zu stellen. Die Schweizer Ordensschwester Silvia Pauli ist ein Beispiel dafür. Ihr Großvater Johannes Pauli war 1944/45 Lagerführer des KZ Bisingen.

"Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr wehtut." Was Mark Twain mit leichter Feder formulierte, fällt in Wirklichkeit oft unglaublich schwer. Aussöhnung bedeutet, dass man seinen Frieden mit dem Vergangenen gemacht hat und ohne Pein zurückblicken kann. Wie sehr die Nachkommen der Täter unter der Last der Geschichte leiden, wird erst langsam aufgearbeitet.

Die Schweizer Ordensschwester Silvia ist die Enkeltochter des SS-Hauptscharführers Johannes Pauli, der die Schweizer Staatsbürgerschaft hatte und 1953 in Basel für seine Taten im KZ Bisingen – wegen "fortgesetzten und wiederholten Totschlags" – zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Er starb 1966.

Über all das ist in der Familie jedoch nie gesprochen worden. "Mein Vater hatte eine unheimliche Angst, dass die Verstrickungen meines Großvaters ans Licht kommen", erinnert sich Silvia Pauli. Schon als Jugendliche habe sie die bedrückte Atmosphäre in ihrem Elternhaus gespürt. Erst nach und nach sei ihr bewusst geworden, welches Geheimnis da gehütet wurde.

Schwester Silvia sagt, sie habe das Schweigen als schwere und dabei diffuse Last empfunden. Sie habe nachgeforscht, sei dafür auch nach Bisingen zum Gedenkstättenverein gekommen.

Sie redet offen über ihre persönliche Auseinandersetzung mit der Rolle ihres Großvaters im Nationalsozialismus. Im November 2013 sprach sie im Museum in Bisingen öffentlich über ihr Ringen um Aufarbeitung und Beenden des Schweigens. Jetzt ist sie abermals nach Bisingen gekommen – in Begleitung zweier Filmemacher –, um diese Aufarbeitung mit Hilfe des Mediums Film fortzusetzen.

Zwei Tage lang machten Regisseur Lukas Zünd und Kameramann Arjun Talwar Aufnahmen im Museum und auf dem Geschichtslehrpfad. Daraus und aus weiteren Aufnahmen am Wohn- und Lebensort in der Kommunität Diakonissenhaus Riehen soll eine rund 20-minütige, filmische Collage entstehen.

Schwester Silvia verarbeitet ihre Gefühle und Gedanken am liebsten auf künstlerische Weise, indem sie diese an authentischen Orten in Form eines Ausdruckstanzes darstellt. Zwischen Aufnahmen davon gibt es reflektierende Passagen, angestoßen zum Beispiel durch Fragen, die Regisseur Zünd aus dem Off stellt.

Wenn man Silvia Pauli im frischen Grün des Bisinger Kuhlochwalds agieren sieht, könnte man von weitem versucht sein, ihre anmutigen Bewegungen zu missdeuten. Was so ästhetisch aussieht, ist in Wirklichkeit aber eine schmerzhafte Konfrontation mit der eigenen, schweren Bürde. Schwester Silvia spricht selbst von "Schuld und Scham", die sie immer noch jäh erfasse, sobald sie im Museum in Bisingen vor dem Porträtfoto ihres Großvaters, des KZ-Lagerführers stehe. "Ich zittere innerlich noch heute, wenn ich die Treppe zum Täterraum hochgehe", sagt sie.

Um diese lähmenden Gefühle zu überwinden, mit "Schuld und Scham" umgehen zu können – auch dafür drehen Silvia Pauli und ihre Begleiter den Film.

Ob die Aufnahmen "das Ende ihrer Reise" bedeuten, will Lukas Zünd in dem Film wissen. "Nein, das glaube ich nicht", antwortet Schwester Silvia. "Ich möchte wieder hierher kommen. Auch weil es hier Menschen gibt, die mir lieb geworden sind."