Kinderärztin Claudia Noll-Streich bespricht einen Befund mit den medizinischen Fachangestellten Monica Schmid (rechts) und Melanie Merkle (links). Foto: Huger Foto: Schwarzwälder-Bote

Medizin: Ärztemangel auch in Zollernalb-Region spürbar / Viele Vorschriften belasten Alltagsarbeit

Von Robert Huger

Vor 21 Jahren ist Kinderärztin Claudia Noll-Streich von Berlin nach Bisingen gezogen. Sie erzählt, was sie an ihrer neuen Heimat schätzt, wie es um die ländliche Versorgung durch Kinderärzte steht und welche Steine Ärzten in den Weg gelegt werden.

Bisingen. "Ich wusste nicht mal, wo Bisingen liegt", sagt Claudia Noll-Streich. Sie habe vor 21 Jahren – kurz nach dem Ende ihrer Ausbildung an der Berliner Charité – eine Anzeige der Bisinger Gemeinde gesehen, in der ein Kinderarzt gesucht wurde. "Da war ein Bild von der Burg drauf, sonst hätte ich sie vielleicht überlesen", erzählt die Kinderärztin. Die Gemeinde habe sie damals eingeladen, ihr die Gegend gezeigt und bei der Wohnungssuche geholfen. Inzwischen ist sich die ehemalige Berlinerin sicher: "Ich möchte hier nicht mehr weg."

In Bisingen und Umgebung sei die Versorgung durch Kinderärzte gut, meint Claudia Noll-Streich. Doch auch im Zollernalbkreis ist der ländliche Ärztemangel bemerkbar. "Es gibt keinen frisch ausgebildeten Arzt, der sich hier niedergelassen hat", sagt Noll-Streich. Vor allem in Albstadt könne es bald Probleme geben. Denn dort sind schon seit Längerem zwei Stellen vakant, und zwei ihrer Kollegen befinden sich bereits im Rentenalter. Schon jetzt weichen deshalb einige Albstädter nach Bisingen aus, damit sie keine langen Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Weitere Patienten kommen mitunter aus Hechingen, Balingen, Haigerloch und Rangendingen.

Claudia Noll-Streich gefällt die ländliche Idylle, aber auch der enge Kontakt zu den Patienten. "Es ist wesentlich persönlicher, weil man das familiäre Umfeld kennenlernt", sagt sie. Zudem treffe sie ihre Patienten hier auch mal beim Einkaufen. In der Großstadt sei es hingegen eher anonym. Doch nur sehr wenige Ärzte zieht es nach der Ausbildung aufs Land.

Beruf ist nicht mehr so attraktiv wie früher

Claudia Noll-Streich sieht drei entscheidende Gründe dafür, dass junge Ärzte sich nicht mit einer Praxis niederlassen wollen. Da gibt es zunächst die zahlreichen Vorschriften für praktizierende Ärzte. "Es wird immer schlimmer, immer mehr", sagt die Kinderärztin. Man werde in seiner ärztlichen Entscheidung ziemlich eingeschränkt. Jedes Rezept werde überprüft, das Budget sei knapp. Die Verantwortung, die der Beruf mit sich bringt, werde überhaupt nicht mehr anerkannt.

Und das macht sich auch bei der Bezahlung bemerkbar. "Die Vergütung ist nicht mehr so wie vor 25 jahren", erzählt Noll-Streich. Dazu ein einfaches Beispiel: Für einen Notdiensteinsatz an einem Samstagabend erhält die Kinderäztin 20,35 Euro brutto pro Stunde. Davon geht ein Teil an ihre Mitarbeiter. "Klar, dass das keiner mehr machen will", sagt sie.

Zum Faktor Geld kommen die langen Arbeitszeiten hinzu. Viele junge Leute hätten zum Beispiel keine Lust auf Notdienste. Da scheinen die Jobangegbote der Pharmaindustrie und in Forschungsabteilungen attraktiver.

Kein Urlaub zwischen den Jahren

In den vergangenen Wochen blieb der Kinderärztin nur wenig Freizeit. Schuld daran sind aber nicht die Arbeitszeiten, sondern der Umzug mit ihrer Praxis. Aus Kostengründen wechselte sie von der Hohenlaienstraße zum neuen Standort in der Barr. Binnen drei Wochen ging der Umzug über die Bühne. Das gelang jedoch nur, weil ihre Söhne Jakob (14) und Sebastian (16) sie fast jeden Tag unterstützt haben, sei es beim Kisten schleppen oder bei der Installation der Telefon- und Computeranlage, die Sebastian für sie regelte. Inzwischen ist jedoch alles erledigt.

In den neuen Räumen fühlen Claudia Noll-Streich und ihre Mitarbeiterinnen sich sehr wohl. Doch nicht nur deshalb kann sie sich vorstellen, ihren Lebensabend in Bisingen zu verbringen. "Es gefällt mir, weil es eine super Infrastruktur gibt", sagt sie. Doch auch die Landschaft möchte sie auf keinen Fall missen.