Josef Schell aus Bisingen hat 600 Worte aus dem Bisinger Dialekt aufgeschrieben. Foto: Stopper

Josef Schell aus Bisingen sammelt Begriffe, die heute keiner mehr kennt. Enkel reden Hochdeutsch.

Bisingen - Jedes Dorf war früher eine eigene Welt. Für Bisinger war vor 150 Jahren schon die Fahrt nach Hechingen eine Reise. Und dort wurde man am Dialekt als Auswärtiger erkannt. Josef Schell aus Bisingen hat 600 Worte Bisinger Dialekt gesammelt, um sie für die Nachwelt aufzubewahren.

Der 80-jährige Senior bezeichnet sich als "Ur-Ur-Ur-Ur-Bisinger", so lange lassen sich seine Vorfahren zurückverfolgen. Obwohl, ein Opa, "der kam aus Wessingen", schränkt er ein. Schell hat mitverfolgt, wie sich mit jeder Generation der Dialekt ein wenig mehr abgeflacht hat. Sein Sohn Jürgen versteht noch alten Dialekt, kann ihn aber nicht mehr gut sprechen. So ist das auch mit Tochter Elke. "Und die Enkel sprechen sowieso alle Hochdeutsch", meint seine Frau Irma. Etwas Wehmut klingt mit. Andererseits: So ist das heute eben.

Dialekt braucht Abgeschiedenheit, wie sie in der landwirtschaftlich geprägten Epoche des 18. Jahrhunderts die Regel war. Dieses Leben hatte noch Thomas Schell geprägt, den Opa von Josef Schell, sein "Ehne", wie er es ausdrückt. Der wurde 1875 geboren und war das Hauptvorbild für seine Dialekt-Aufzeichnungen. Mit ihm ging er als kleiner Bub zum Holzmachen in den Wald. Auch von seinem Nachbar lernte er als Kind viele Begriffe aus der Landwirtschaft.

"Bisingerisch – geschwätzt und gschrieba", so nennt Josef Schell sein Werk, das einen dicken Leitz-Ordner füllt. Über den Inhalt werden wir in nächster Zeit in loser Folge berichten. Über zwölf Jahre saß Josef Schell an dieser Sammlung. Mal legte er sie ein Jahr lang weg, dann ergänzte er wieder Begriffe, die ihm in Erinnerung gekommen waren, tippte alles mit der Schreibmaschine.

Anregungen verdankt er auch alten Freunden, die er schon von Kindheit an kennt. Der kürzlich verstorbene Rosewirt beispielsweise. Wenn er die traf, wurde ganz automatisch Ur-Bisingerisch "geschwätzt". Einige sind mittlerweile gestorben, und so gibt es immer weniger Leute, mit denen man Ur-Bisingerisch reden könnte.

Sowieso hat sich der Dialekt im Lauf der Generationen verflacht. Schon Friedrich Schell, der Vater des Autors, "der hat scho ein bissle weniger Dialekt gesprochen", erklärt Josef Schell. Er fertigte Arbeitsschuhe an, verkaufte an verschiedene Firmen, hatte dadurch mehr Kontakt zu "Auswärtigen". Dazu kamen die preußischen Verwaltungsbeamten. "Wenn ein Bisinger Bäuerle aufs Notariat ging, hat ihn der Beamte schlichtweg nicht verstanden", berichtet der 80-Jährige. Da musste man sich schon etwas anpassen.

Josef Schell selber wuchs "zweisprachig auf". In der Grundschule wurde noch Schwäbisch "geschwätzt", als er seine kaufmännische Lehre bei Gossard begann, trat das Hochdeutsche in sein Leben. Wichtige Lieferanten saßen in Wuppertal, "beim telefonieren mit denen musste man sich schon anstrengen", erzählt er. Der Chef habe das nicht angeordnete, "aber man spürte einfach, was gefordert war".

"Dialekte sollen nicht aussterben, sondern erhalten bleiben"

Im Alter von 32 Jahren war er für Gossard sogar mal als Außendienstler in Norddeutschland. "Die haben schon meinen Hut mir Kordel komisch angeschaut", berichtet er von einem Kundenbesuch im feinen Hamburg. Als er dann losgeschwäbelt habe, seien die Augenbrauen steil in die Höhe gegangen. Die Qualität der schwäbischen Miederwaren stand im hohen Norden aber außer Zweifel, sodass die Geschäfte trotzdem liefen. Aber richtig wohl gefühlt hat er sich dort nicht.

Josef Schell blieb dann wieder in Bisingen. 20 Jahre bei Gossard, anschließend machten er und seine Frau sich mit einer Textildruckerei selbstständig. Da hatte er keine Zeit, sich über seinen Dialekt Gedanken zu machen. Im Ruhestand änderte sich das.

Dass er mit seiner Sammlung den Siegeszug des Hochdeutschen nicht stoppen kann, ist Josef Schell bewusst. "Die Globalisierung erfordert Veränderungen der Gewohnheiten, besonders was die Anpassung des Sprachgebrauchs anbelangt", schreibt er in seinem Vorwort. Trotzdem ergänzt er: "Dialekte sollen nicht aussterben, sondern als Nebensprache erhalten bleiben, zumindest als Erinnerung an die Ursprünge."